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Venlafaxin in der Behandlung der Generalisierten Angststörung

Eine Meta-Analyse von fünf randomisierten, klinischen Studien.

Titel

Venlafaxine ER as a treatment for generalized anxiety disorder in older adults: pooled analysis of five randomized placebo-controlled clinical trials.

 

Autoren

Katz IR, Reynolds CF 3rd, Alexopoulos GS, Hackett D.

 

Quelle

J Am Geriatr Soc 2002 Jan;50(1):18-25

 

Abstract

 

 

Fragestellung 

Evaluation der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Venlafaxin ER bei älteren Patienten (> 60 Jahre) mit generalisierter Angststörung (GAS).

 

Hintergrund

GAS ist eine häufige Erkrankung bei älteren Erwachsenen. Bisherige medikamentöse Behandlungsstrategien bestanden vorwiegend aus einer niedrig dosierte Benzodiazepintherapie, was jedoch mit den Problemen von Benzodiazepin-induzierten Nebenwirkungen verbunden ist. Kürzlich wurde ein Wirkungsnachweis des Antidepressivums Venlafaxin ER (VFX) in der Behandlung der GAS beim Erwachsenen erbracht. In der vorliegenden Studie wurden speziell die Wirksamkeit und die Sicherheit bei GAS-Patienten mit höherem Alter untersucht.

 

Methoden

Studiendesign

Post-hoc-Analyse von 5 prospektiven, doppelblinden, randomisierten placebokontrollierten, klinischen Multicenterstudien, welche alle zum Ziel hatten, die akute Wirksamkeit über 8 Wochen von Venlafaxin ER (VFX) bei Patienten mit GAS zu untersuchen. Zwei davon evaluierten den Langzeiteffekt über 24 Wochen.

 

Setting

Patienten mit GAS, Alter > 18 Jahren. Einteilung in 2 Altersklassen von < 60 und > 60 Jahren. Die Behandlung erfolgte ambulant (sowohl Grundversorger als auch Spezialisten).

 

Einschlusskriterien

GAS nach DSM-IV mit einem Schweregrad in der Hamilton Rating Scale for Anxiety (HAMA) > 18, wobei in den Bereichen «Angst» und «Anspannung» ein Score von > 2 vorliegen musste.

 

Ausschlusskriterien

Dominierende depressive Symptomatik in den 6 Monaten vor der Untersuchung.

 

Andere psychiatrische Störungen (bipolar-affektive Störung, schizophrene Psychose, Substanzenabusus innerhalb eines Jahres vor der Studie), ernsthafte internistische Erkrankungen und Allergien.

 

Vorheriger Einsatz von VFX; keine gleichzeitige oder vorangehende (1-4 Wochen vor Studieneinschluss) Behandlung mit anderen Antidepressiva, Antipsychotika, Hypnotika bzw. Benzodiazepinen.

 

Intervention und Beobachtungsdauer

Behandlung mit Venlafaxin ER über 8 bzw. 24 Wochen in diversen Dosierungen.

Studiencharakteristika

Siehe Tabelle 1

 

Primäre Endpunkte
  • Wirksamkeitsüberprüfung mittels Intention-to-treat Analyse (ITT) anhand der Veränderung von:
     - Hamilton Rating Scale for Anxiety (HAMA): Totalsummenscore und Subscore für psychische Angstsymptomatik
     - Hospital Anxiety- and Depression-Scale (HAD): Angst-Subskala
     - Clinical Gobal Impression of Improvement (CGI-I)
  • Response: HAMA, 50% Reduktion des Ursprungswertes oder CGI-I, Verbesserung auf Score von 1-2
  • Remission: HAMA-Score < 7 (logistische Regressionsanalysen für die Response- bzw. Remissions-Kriterien)
  • Behandlung, Alter, Studie und die Interaktion Alter-Behandlung wurden als Kovariaten in die Analysen einbezogen (3-Weg-Kovarianzanalyse)
  • Sicherheit und Verträglichkeit: Das Auftreten von unerwünschten Ereignissen bzw. Abbruchgründe wurden mittels logistischen Regressionsanalysen untersucht
Sekundäre Endpunkte
  • HAMA: Somatische Angstsymptomatik
  • HAD: Depressions-Subskala
  • Clincal Global Impression-Scale-Severity (CGI-S)
  • Covi-Scale for Anxiety
  • Raskin Scale for Depression

 

Resultate

Basisdaten / Patienten

Vergleichbare Charakteristika (erhobene Psychopathologiewerte bzw. Schweregrad, Gewicht, Anteil Frauen) bei Baseline zwischen jüngeren (n = 1’628, Alter: 39.1 ± 16.5 (Placebo), 39.8 ± 10.4 (VFX)) und älteren Patienten (n = 184, Alter: 65 ± 6.1 (Placebo), 66.5 ± 6.0 (VFX)).
Bei den älteren, signifikant längere Dauer der Störung als bei den jüngeren Patienten.

Gruppenvergleich der Endpunkte


1. Wirksamkeit
Analysen innerhalb der beiden Alterssubgruppen (last observation carried forward method und observed-case analysis) zeigten im Vergleich zu Placebo bei den mit VFX behandelten Patienten (sowohl bei den älteren, > 60 Jahre, als auch bei den jüngeren, < 60 Jahre) eine signifikant stärkere Reduktion der Psychopathologiewerte nach 8 bzw. 24 Wochen. Auch die Response- resp. Remissionsraten waren in der jeweiligen VFX-Gruppe höher:

Response- und Remissionsraten (% der Gruppen) nach 8 Wochen: Siehe Tabelle 2

Response- und Remissionsraten (% der Gruppen) nach 24 Wochen: Siehe Tabelle 3

 

Zwischen älteren und jüngeren Patienten (Alter und Interaktion Alter-Behandlung) zeigten sich keine signifikanten Effekte in allen primären und sekundären Endpunkten.


Auch die speziell als Kovariate analysierte, depressive Symptomatik zeigte im Vergleich zu Placebo in den VFX-behandelten Gruppen eine signifikante Abnahme sowohl nach 8 als auch nach 24 Wochen. Zudem fand sich bei initial höheren Depressionswerten ein signifikant schlechteres therapeutisches Ansprechen der Angstsymptomatik nach 8 Wochen.

 

2. Sicherheit und Verträglichkeit
Bei den älteren Patienten setzten 23% der mit VFX und 31% der mit Placebo behandelten Patienten die Medikation vorzeitig ab. Die vergleichbaren Werte bei den jüngeren betrugen 27% bzw. 28%. Die Absetzrate aufgrund von Nebenwirkungen betrug bei den älteren Patienten 15% (VFX) bzw. 14% (Placebo) und bei den jüngeren 15% (VFX) bzw. 8% (Placebo). Lediglich gastrointestinale Nebenwirkungen waren bei den VFX-behandelten Patienten häufiger vorhanden als bei Placebo (p < 0.001).

 

Diskussion durch die Autoren

VFX ist ein sicheres und effektives Mittel in der Behandlung der GAS sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Patienten. In der vorliegenden Untersuchung fand sich kein signifikanter Einfluss des Alters auf die Effektivität der Behandlung, d.h. VFX ist bei älteren Patienten ebenso effektiv in der Behandlung der GAS wie bei jüngeren. Zudem ist VFX bei den älteren Patienten mit GAS ebenso gut verträglich und sicher wie bei jungen.

 

Hervorgehoben wird der Einfluss der Komorbidität Depression auf die Angststörung: Im Vergleich zu einer alleinigen GAS zeigen gemischte Angst-/ Depressionserkrankungen ein schlechteres therapeutisches Ansprechen.

 

Zusammenfassender Kommentar

Die post-hoc Analyse zeigt eine Effektivität von Venlafaxin in der Behandlung der GAS auch bei älteren Patienten. Allerdings sind die statistischen Signifikanzen nicht so hoch wie bei den jüngeren Patienten, was teilweise durch die sehr unterschiedlichen n-Zahlen mitbedingt sein dürfte (jüngere: über 1’000, ältere: über 100). Dieser Punkt wurde von den Autoren in der Poweranalyse berücksichtigt und auch kritisch gewürdigt. Die limitierte Zahl älterer Patienten ist in dieser Studie sicherlich ein Handicap.

 

Auffällig ist die teilweise doch sehr hohe Placebo-Response-Rate (bis zu 62% !) bei diesen Patienten. Hier stellt sich die Frage, ob die Teilnehmer in diesen randomisierten klinischen Studien weniger schwer krank waren als solche im klinischen Praxisalltag. Gerade bei affektiven Störungen zeigte es sich, dass z.B. hospitalisierte depressive Patienten, welche generell als schwerer krank gelten als solche in ambulanter Behandlung, in antidepressiven Therapien deutlichere Unterschiede zu Placebobehandlungen aufweisen als ambulant behandelte Patienten, obwohl in den einschlägigen Studien die initialen Psychopathologiewerte vergleichbar sind. Die alleinige Erhebung von psychopathologischer Symptomatik scheint somit nicht ausreichend zu sein, um den Schweregrad einer Erkrankung widerzugeben. Eine Erweiterung der Evaluationskriterien wie soziale Funktionsfähigkeit, Anzahl vorangehender Hospitalisationen uzw. wäre diesbezüglich in zukünftigen Studien sicherlich hilfreich.

 

Eine weitere Limitation dürfte bei diesen sogenannten «älteren Patienten» mit ihren durchschnittlich 60 bis 70 Jahren das im Vergleich zum Patienten im Praxisalltag doch immer noch jüngere Alter darstellen.

 

Schliesslich handelt es sich in der vorliegenden Studie um ein retrospektives Analysesetting – mit all den Implikationen, die ein solches Studiendesign mit sich bringt. Die Ergebnisse müssen deshalb mit grösserer Zurückhaltung gewertet werden.

 

Die Tatsache, dass die Autoren trotz des Ausschlusskriteriums «signifikante depressive Symptomatik in den 6 Monaten vor Studieneinschluss» eine Assoziation zwischen schlechterem therapeutischem Ansprechen der Angstsymptomatik und initialer Depression fanden, zeigt, dass selbst unter kontrollierten Studienbedingungen der Übergang von GAS zur affektiven Störung oft fliessend ist und die Differentialdiagnose in manchen Fällen sicherlich nicht gerade leicht fällt. Dieser Befund unterstreicht zudem die in epidemiologischen Studien nachgewiesene hohe Assoziation von GAS mit Depressionen.

 

 

Besprechung von Dr. med. M. Hatzinger, Psych. Universitätsklinik, Basel

 

J Am Geriatr Soc 2002 Jan;50(1):18-25 - I. R. Katz et al

14.02.2004 - dde

 
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