Telerheumatologie
Eignung und Akzeptanz der Telemedizin in der rheumatologischen Diagnostik.
Titel
Telerheumatology - diagnostic accuracy and acceptability to patient, specialist, and general practitioner.
Autoren
Leggett P, Graham L, Steele K, Gilliland A, Stevenson M, O’Reilly D, Wootton R, Taggart A.
Quelle
Br J Gen Pract. 2001 Sep;51(470):746-8
Abstract |
Fragestellung
Eignen sich Telefonkonsultationen und Videokonferenzen zur Diagnosestellung in der Rheumatologie und wie werden diese «telemedizinischen» Medien vom Patienten, vom Allgemeinpraktiker und vom Rheumatologen beurteilt?
Hintergrund
Telemedizin ist vereinfacht ausgedrückt der Einsatz von Informationstechnologie und Telekommunikation in der Medizin, um räumliche Distanzen zu überwinden oder physische Interaktionen zwischen Personen zu ersetzen. Das Einsatzgebiet der Telemedizin erstreckt sich dabei über alle Aspekte der modernen Medizin: Telekonzilien, Telekonsultationen, telechirurgische Eingriffe, Teleradiologie sind nur einige Stichworte, welche die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Telemedizin verdeutlichen. Paul Legget et al. sind in ihrer Studie der interessanten Frage nachgegangen, ob sich in der Diagnostik der Einsatz von Telefonkonsultationen und Videokonferenzen im Dreieck Patient – Allgemeinpraktiker – Rheumatologe bewährt und wie diese Telekommunikationsmedien von den drei involvierten Parteien akzeptiert werden.
Methoden
Studiendesign
Bei vorliegendem Studiendesign handelt es sich um eine prospektive, nicht-randomisierte, offene Studie. Die Autoren geben an, aus Praktikabilitätsgründen auf eine Randomisierung verzichtet zu haben.
Setting
Die Autoren der Studie wählten 100 neu zugewiesene Patienten aus, die einen typisch rheumatologischen Case-mix für die Telemedizinevaluation repräsentierten. Die Auswahl geschah auf Grund der Zuweisungsschreiben, ohne dass die Patienten gesehen wurden. Die Autoren lassen nichts darüber verlauten, welche Ein- oder Ausschlusskriterien bei der Auswahl der Patienten angewandt wurden.
Intervention
Als erstes fand eine Konsultation mit einem Allgemeinpraktiker statt, der keine spezielle Ausbildung in Rheumatologie aufwies. Der nächste Schritt war eine Telefonkonferenz mit dem Patienten und dem Allgemeinpraktiker in einem Raum und einem Rheumatologen im Zentrumsspital. Als drittes fand eine Videokonferenz zwischen dem Patienten und dem Rheumatologen statt. Nach jeder Konsultation hielten der Patient, der Allgemeinpraktiker und der Rheumatologe auf einem Fragebogen den diagnostischen Wert der Sitzung und ihre Befriedigung mit der Situation fest. Zum Schluss fand als Gold-Standard und zur Diagnosesicherung eine «normale» Konsultation zwischen Rheumatologe und Patient statt.
Primäre Endpunkte
Die Auswertung der Fragebögen, insbesondere die Patientenzufriedenheit und die «Diagnosesicherheit» des Allgemeinpraktikers und des Rheumatologen wurden als kritische Erfolgsfaktoren definiert.
Resultate
Basisdaten
Unter den 100 ausgewählten Patienten waren 75 Frauen und 25 Männer. Das Durchschnittsalter betrug 48 Jahre.
Patientenzufriedenheit und Zufriedenheit des Allgemeinpraktikers
Siehe Tabelle 1
Obwohl 90% der Patienten nach der Videokonferenz zufrieden waren, wollten trotzdem noch 42% einen Besuch beim Spezialisten.
Diagnosesicherheit
Die Diagnosesicherheit der Rheumatologen betrug 71% nach der Telefonkonferenz und 97% nach der Videokonferenz. Nach der Telefonkonferenz glaubten die Rheumatologen, sie müssten 75% der Patienten physisch sehen, um die Diagnose zu stellen. Nach der Videokonferenz war dies nur noch bei 6% der Patienten der Fall.
Die Allgemeinpraktiker wollten nach der Telefonkonferenz noch 51% der Patienten an den Rheumatologen weiterweisen. Nach der Videokonferenz erachteten sie diesen Schritt nur noch bei einem einzigen Patienten als notwendig.
Diskussion durch die Autoren
Die Autoren kommen zum Schluss, dass Videokonferenzen zur Diagnosestellung geeignet sind und eine akzeptable Alternative zur Überweisung an eine Poliklinik darstellen. Diese Feststellung wird mit der Erkenntnis untermauert, dass immerhin 58% der Patienten nach der Videokonferenz einen Besuch beim Spezialisten nicht mehr für notwendig erachteten. Die Telefonkonferenz allein ist ungenügend, sowohl was die Zufriedenheit der Akteure betrifft wie auch die Diagnosesicherheit. Die methodischen Schwächen der Studie werden von den Autoren nicht in Abrede gestellt. Trotzdem sind sie überzeugt, dass die Telemedizin, richtig eingesetzt und unterstützt vom Allgemeinpraktiker als Vermittler, für die diagnostische Entscheidungsfindung geeignet ist und von Patienten und Fachpersonen akzeptiert wird.
Zusammenfassender Kommentar
Die Studie zeigt weitere, interessante Anwendungsmöglichkeiten der Telemedizin auf. Die Resultate sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Streng methodisch betrachtet genügt die Studie leider nicht und dem Einfluss von Störfaktoren, angefangen bei einem massiven Selektionsbias, sind Tür und Tor geöffnet. Trotzdem lohnt es sich über die Studie nachzudenken. Der Wert dieser Versuchsanordnung liegt nach Ansicht des Reviewers in dem lobenswerten Ansatz, ein realistisches Szenario durchzuspielen wie Telemedizin sinnvoll angewendet werden könnte. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn solche Studien sich an den Standard von randomisierten, kontrollierten Studien halten würden. Für die Telemedizin gilt das gleiche wie für alle anderen Interventionen in der Medizin. Verlässliche Aussagen können nur mit methodisch einwandfreien Studien erreicht werden, die den allgemein akzeptierten Kriterien der Evidence-based Medicine genügen.
Besprechung von Dr. med. Fritz Grossenbacher, Master of Medical Education, Mediscope Knowledge Center
Br J Gen Pract. 2001 Sep;51(470):746-8 - P. Leggett et al
13.02.2004 - dde