Tegaserod bei Frauen mit Reizdarmsyndrom und Obstipation
Eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie.
Titel
A randomized, double-blind, placebo-controlled trial of tegaserod in female patients suffering from irritable bowel syndrome with constipation.
Autoren
Novik J, Miner P, Krause R, Gleebas K, Bliesath H, Logozio G, Rüegg P, & Lefkowitz M.
Quelle
Aliment. Pharmacol.Ther. 2002; 16: 1877-1888
Abstract |
Fragestellung
Kann durch die Therapie mit dem 5-HT4-Agonisten Tegaserod das gesamte Symptomspektrum des Reizdarmsyndroms (v.a. Bauchschmerz/Übelkeit, Blähungen, Obstipation) bei Frauen schnell und effektiv gelindert werden? Mit welchen Nebenwirkungen muss gerechnet werden?
Hintergrund
Das Reizdarmsyndrom betrifft bis zu 20% der Bevölkerung, zwei Drittel davon sind Frauen. Charakteristische Symptome sind Bauchschmerz/Übelkeit, Blähungen, Obstipation, Diarrhoe oder der Wechsel beider Formen. In der Pathophysiologie spielen mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl die gastrointestinale Motilität als auch die zentral gesteuerte neurale Erregbarkeit im kleinen Becken und Kolon eine Rolle. Während sich bei Diarrhoe-prädominaten Krankheitsformen die Gabe von 5-HT3-Antagonisten und bei primärer Schmerzsymptomatik glatte Muskelrelaxanzien als wirksam erwiesen, konnte für das gesamte Symptomspektrum der Erkrankung, insbesondere bei Schmerz, kombiniert mit Obstipation, noch keine Behandlung etabliert werden. Der potente selektive 5-HT4-Agonist Tegaserod erwies sich bei diesem Beschwerdebild in vorklinischen und klinischen Studien, insbesondere bei Frauen, als wirksam. In der besprochenen Phase III-Studie wurde an einer grossen Patientinnenzahl – ausschliesslich Frauen – anhand objektiver und subjektiver Messskalen Wirksamkeit und Sicherheit der Medikation untersucht. Vorgängige Studien mit Tegaserod an Frauen und Männern mit Reizdarmsymptomen hatten vor allem Therapieerfolge bei Frauen erbracht.
Methoden
Studiendesign
Prospektive, randomisierte, placebokontrollierte Multizenterstudie über 12 Wochen mit einer jeweils therapiefreien Run-in und Wash-out Phase als Beobachtungsphase. Die Analyse erfolgte nach dem Intention-to-treat Prinzip.
Setting
Teilnehmer waren 1’519 Frauen mit Reizdarmsyndrom sowie Bauchschmerz/Übelkeit und Obstipation, welche an 131 Zentren in den USA behandelt wurden. 71% waren Grundversorgerpraxen. Nach einer 4-wöchigen therapiefreien Basisperiode erhielt die Verumgruppe (n = 767 Patientinnen) 2 x täglich 6 mg Tegaserod über 12 Wochen. Zur parallel laufenden Placebogruppe zählten 752 Patientinnen. Im Anschluss folgte eine 4-wöchige offene therapiefreie Periode zur weiteren Evaluierung der Behandlungen.
Bewertung
Primäre Wirksamkeitsvariablen
Primäre Wirksamkeitsvariablen wurden mit Hilfe einer Skala zur subjektiven Symptomeinschätzung (= Subject’s Global Assessment of Relief, SGA) erhoben. Anhand dieser Skala werden einerseits Krankheitssymptome registriert, andererseits stellt sie aber Messparameter zur subjektiven Beschwerdelinderung zur Verfügung, bezogen auf die typischen Symptome Bauchschmerz, verminderte Beckenentleerungsfunktion und Gesamtbefinden. Die Patientinnen dokumentierten ihre Befindlichkeit einmal wöchentlich als Antworten auf standardisierte Fragen zur Beschwerdelinderung auf einen Telefonanrufbeantworter. Die Auswahl möglicher Antworten auf die Beschwerden war wie folgt standardisiert:
- «Beschwerdefreiheit»
- «deutliche Besserung»
- «leichte Besserung»
- «unveränderte Beschwerden»
- «Verschlimmerung der Beschwerden»
Die Frauen, die «Beschwerdefreiheit» oder «deutliche Besserung» ihres Befindens in mindestens 2 der 4 Wochen oder wenigstens «leichte Besserung» in jeder der 4 Wochen erfahren hatten, wurden als Responder klassifiziert. Diejenigen, die die Behandlung unter- oder abgebrochen sowie verbotene Laxanzien eingenommen hatten, wurden als Non-Responder betrachtet.
Sekundäre Wirksamkeitsvariablen
Sekundäre Wirksamkeitsvariablen wurden anhand der wöchentlich und täglich telefonisch aufgezeichneten Antworten ermittelt. Berichtet werden sollte über «störende» Bauchschmerzen und Obstipation («how ’bothersome’ was ...»), über die Einschätzung der Blähungen, der Stuhlhäufigkeit und -konsistenz, der Anspannung während des Stuhlgangs (mit Hilfe von Scores zwischen 1 und 7) sowie über die «Zufriedenheit» mit der eigenen Darmentleerung. Als Responder wurden die Patientinnen betrachtet, die «sehr zufrieden» bis «etwas zufrieden» in mindestens der Hälfte aller Befragungstermine waren.
Einschlusskriterien
Eingeschlossen wurden Patientinnen über 18 Jahre mit diagnostiziertem Reizdarmsyndrom und mindestens dreimonatiger Krankheitsdauer sowie den typischen Symptomen Schmerz im Unterbauch, Unwohlsein, Obstipation (dabei mindestens zwei folgenden Beschwerden: weniger als drei Darmentleerungen wöchentlich, harte Stühle, starke Spannung während der Darmentleerung), keine/kaum Besserung des Befindens seit mindestens 2 Monaten nicht medikamentöser Therapie.
Ausschlusskriterien
Ausgeschlossen wurden Patientinnen mit einer ursächlichen organischen Krankheit wie auch solche mit signifikanter Diarrhoe, strukturellen Veränderungen des Gastrointestinaltrakts oder mit Krankheiten/Störungen, die die Darmpassage beeinflussen, sowie mit einer Krankheitsgeschichte von Alkohol-, Laxanzien- oder Medikamentenabusus. Ausgeschlossen wurden zudem schwangere und stillende Frauen. Begleitende Medikamente, die den Magen-darmtrakt beeinflussen können, waren nicht erlaubt.
Intervention
Nach der 4-wöchigen therapiefreien Phase, wurden die Patientinnen randomisiert und nahmen entweder 2 x täglich 6 mg Tegaserod oder Placebo in identischer Tablettenform wie vorgeschrieben mit einem Glas Wasser jeweils 30 Minuten vor dem Frühstück und dem Abendessen. Im Anschluss an die 12-wöchige Behandlung erhielten die Frauen 4 Wochen lang keine Studienmedikation. Ärztliche Untersuchungen erfolgten in monatlichen Abständen zur Bestimmung der Therapiesicherheit.
Resultate
Basisdaten
Die demographischen und klinischen Ausgangswerte waren in beiden Gruppen vergleichbar mit Ausnahme der Einnahme von Laxanzien (15% in der Verumgruppe vs. 11% in der Placebogruppe).
Gruppenvergleich der Endpunkte
Die Behandlung mit Tegaserod bewirkte eine schnelle Verbesserung der Symptomatik entsprechend der subjektiven Einschätzung anhand der SGA und der typischen Krankheitssymptome. Die Verbesserung wurde bereits nach einer Woche gesehen und während der gesamten Therapiedauer aufrecht erhalten.
Primäre Endpunkte (SDA-Werte)
Die Patienten der Verumgruppe zeigten eine signifikant höhere Responserate auf der SGA als die der Kontrollgruppe. (43.5% versus 38.5%). Die monatlichen Responseraten betrugen für Tegaserod versus Placebo nach dem:
- Monat 1: 40.5 versus 26.2%
- Monat 2: 47.2 versus 39.6%
- Monat 3: 53.0 versus 47.1%
Zu Therapiebeginn wurde eine hohe Placeboresponse beobachtet: Nach der Woche 1 gaben 59% Frauen in der Verumgruppe und 40% der Kontrollgruppe an, mindestens eine leichte Besserung zu spüren. Im Therapiezeitraum stieg die Responserate unter dem Verum auf 67%, unter dem Placebo auf 61%.
Sekundäre Endpunkte (wöchentliche und tägliche Symptombewertungen)
Für die Symptome Bauchschmerz/Unwohlsein, Probleme der Darmentleerung und Zufriedenheit mit dieser zeigten sich gegenüber den Basiswerten signifikant bessere Werte unter dem Verum als unter Placebo.
Nachbeobachtungsphase
Nach Behandlungsende kehrten Beschwerden aber rasch wieder zurück, was sich an einem raschen Responderrückgang in beiden Studiengruppen gleich in der ersten therapiefreien Woche zeigte. Unter Tegaserod war dieser Effekt stärker als unter Placebo. Dennoch war die Symptomatik nicht mehr so ausgeprägt wie zu Studienbeginn.
Therapiesicherheit
Tegaserod wurde sehr gut toleriert. Die häufigsten Nebenwirkungen, in der Verumgruppe gegenüber der Placebogruppe etwas erhöht, waren Kopfschmerz, Nausea und milde, vorübergehende Diarrhoe. Diarrhoe war die häufigste Nebenwirkung; sie führte aber nur selten zu Therapieabbruch. Ermittelte Laborparameter waren in beiden Studiengruppe vergleichbar.
Diskussion durch die Autoren
Die Studienmedikation führte zu signifikanter Besserung der Symptomatik des Reizdarmsyndroms. Dieser Effekt zeigte sich gleich in der ersten Therapiewoche und hielt während des gesamten Behandlungszeitraums an. Nach Beendigung der Therapie kehrten die Beschwerden zurück, erreichten aber nicht das Ausmass vor der Behandlung.
Beachtenswert ist der sehr hohe und auch zunehmende Placeboeffekt in der vorliegenden Studie. Ähnlich hohe Placeboeffekte werden auch aus anderen Studien berichtet und sind wahrscheinlich mit dem natürlichen Verlauf der Krankheit Reizdarmsyndrom verbunden.
Zusammenfassender Kommentar
In dieser Studie konnte bestätigt werden, dass Tegaserod in der Untergruppe von Patientinnen mit einem Reizdarmsyndrom, welche zur Verstopfung neigen, eine wirksame Therapie ist. Nach einer Woche Therapie verspürten 19% der mit Tegaserod behandelten Patientinnen eine Verbesserung ihrer Gesamtsymptomatik gegenüber der Placebogruppe. Dieser Unterschied flachte aber im Verlauf der Studiendauer ab und betrug nach 12 Wochen noch lediglich 6%. Das Medikament ist für eine 12-wöchige Therapie des Reizdarmsyndroms zugelassen, da für diese Periode gesicherte Daten vorliegen. Eine Therapiedauer von 1 bis 3 Monaten erscheint angesichts des fluktuierenden Verlaufs der Reizdarmsymptomatik auch angemessen. Die Wirkung einer Langzeittherapie müsste in weiteren Studien untersucht werden.
Bemerkungen zum Studiendesign
Die vorliegende Studie ist eine von vier doppelblinden kontrollierten Untersuchungen zur Wirkung von Tegaserod in der Standarddosierung. Alle vier Studien sind von hoher Qualität und erfüllen weitgehend akzeptierte Kriterien für Therapiestudien des Reizdarmsyndroms. In dieser Studie wurden aber nur Frauen behandelt, da in früheren Untersuchungen ein signifikanter Effekt der Tegaserodgabe bei Männern nicht sicher nachgewiesen werden konnte. Einer der Gründe für dieses Phänomen ist möglicherweise der geringe Anteil an männlichen Studienteilnehmern in diesen Untersuchungen, so dass nur ein positiver Trend, aber keine statistisch signifikant bessere Wirkung des Tegaserod gegenüber Placebo gezeigt werden konnte. Hier könnte es sich um einen so genannten Type II-Error handeln, ein statistisches Phänomen bei zu kleinen Patientenzahlen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das Medikament bei Männern nicht die gleichen positiven Effekte haben sollte wie bei Frauen, was auch der Praxiserfahrung entspricht.
Besprechung von Bärbel Hirrle, Mediscope AG, und Dr. med. Ronald Fried, Abt. Gastroenterologie, Kantonsspital Basel, Quästor IBDnet, Basel
Aliment. Pharmacol.Ther. 2002; 16: 1877-1888 - J. Novik et al
16.02.2004 - dde