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Primäre Angioplastie vs. thrombolytische Therapie

Die optimale Therapie des akuten Myokardinfarkts.

Titel

Primary angioplasty versus intravenous thrombolytic therapy for acute myocardial infarction: a quantitative review of 23 randomised trials.

 

Autoren

Keeley EC, Boura JA, Grines CL.

 

Quelle

Lancet 2003;361:13-20

 

Abstract

 

 

Fragestellung 

Die Studie versucht die Frage zu klären, welches die beste Reperfusionstherapie beim akuten Myokardinfarkt ist. Verglichen wird die intravenös applizierte Thrombolyse mit der direkten Wiedereröffnung des Infarktgefässes mittels Herzkatheter (Akut-PTCA).

 

Hintergrund

Die Behandlung des akuten Myokardinfarkts hat sich in den letzten Jahrzehnten massgeblich verändert. Die Erkenntnis, dass die Mehrzahl der Infarkte durch einen akuten thrombotischen Verschluss einer Koronararterie verursacht wird, leitete die Ära der Reperfusionstherapie ein. Die Entwicklung verschiedener Thrombolytika, welche erst intrakoronar, später systemisch verabreicht wurden, stellte einen grossen Durchbruch in der Behandlung des akuten Myokardinfarkts dar. In den achtziger Jahren wurden grosse Multizenterstudien mit zehntausenden von Patienten durchgeführt, welche zeigten, dass eine Thrombolyse die Mortalität nach Myokardinfarkt verringert. Diesem positiven Ergebnis stand von Anfang an ein erhöhtes Blutungsrisiko, speziell bei älteren Patienten, gegenüber. Die Entwicklung der primären perkutanen transluminalen koronaren Angioplastie (sog. Akut-PTCA), d.h. die unmittelbare Wiedereröffnung des Infarktgefässes mittels Ballonkatheter, stellte den nächsten grossen Schritt in der Infarktbehandlung dar. Anfangs der neunziger Jahre entbrannte eine heftige Diskussion in der Fachwelt über die optimale Therapie des akuten Myokardinfarkts. Für die Akut-PTCA sprachen die höhere Wiedereröffnungsrate des Infarktgefässes, die damit verbundene geringere Infarktgrösse und die geringere Mortalität gegenüber der Thrombolyse. Als Nachteil galt der gegenüber der Thrombolyse viel grössere Aufwand – letztere kann in jedem Bezirksspital sicher und rasch verabreicht werden. Zudem zeigt sich der Nutzen der Akut-PTCA nur, wenn sie von entsprechend erfahrenen Operateuren durchgeführt wird.

 

Methoden

Studiendesign

Es handelt sich um eine Metaanalyse, d.h. eine systematische Zusammenfassung aller bekannten publizierten und zum Teil nicht publizierten Studien zu diesem Thema.

 

Einschlusskriterien

Es wurden alle Studien identifiziert, welche die Akut-PTCA mit der Thrombolyse beim akuten ST-Hebungs- Infarkt randomisiert verglichen haben. Als Grundlage diente dazu eine Suche in der Medline-Datenbank, zudem wurden alle Abstracts der grossen kardiologischen Kongresse durchgesehen und die Erstautoren der Studien kontaktiert, um möglichst alle auch unpublizierten Arbeiten zu erfassen. Die Einschlusskriterien in den verschiedenen Studien variierten zwar, es wurden aber in allen Studien Patienten mit ischämie-typischen Brustschmerzen, ST-Hebungen von mehr als einem Millimeter in mindestens zwei Ableitungen oder einem neuen Linksschenkelblock im EKG ohne Kontraindikationen für eine Thrombolyse eingeschlossen. Die Daten des SHOCK-Trial, einer Studie, welche ausschliesslich Patienten im kardiogenen Schock einschliesst, wurden mitverwendet. Die Endresultate wurden allerdings mit und ohne die Daten der SHOCK-Studie präsentiert.

 

Intervention

In allen Studien wurden die Patienten zur Therapie mittels Thrombolyse oder Akut-PTCA randomisiert. Die Art des Thrombolytikums, der Gebrauch von Stents und von Glykoprotein IIb/IIIa-Antagonisten variiert in den verschiedenen Arbeiten.

 

Endpunkte

Gesamtmortalität, Reinfarkte, rezidivierende Ischämie, zerebrovaskuläre Insulte, zerebrale Blutungen, grössere Blutungen und der kombinierte Endpunkt von Tod, Reinfarkt und invalidisierendem Hirninsult gelten als Endpunkte der verschiedenen Studien.

 

Beobachtungsdauer

Die Beobachtungsdauer variiert in den verschiedenen Studien. Es wurde ein Kurzzeitverlauf (4-6 Wochen) und ein Langzeitverlauf (6-18 Monate) definiert.

 

Resultate

Es wurden insgesamt 23 Arbeiten identifiziert, welche die Einschlusskriterien erfüllten. In diesen 23 Studien wurden insgesamt 7’739 Patienten randomisiert mittels Akut-PTCA (n = 3’872) oder Thrombolyse (n = 3’867) behandelt. In 8 Studien wurde die Akut-PTCA mit Streptokinase verglichen (n = 1’837), in 15 Arbeiten wurde ein fibrin-spezifisches neueres Thrombolytikum eingesetzt. Von den insgesamt 3’867 Patienten, welche lysiert wurden, erhielten 76% (n = 2’939) ein fibrin-spezifisches Thrombolytikum. Stents wurden in 12, Glykoprotein IIb/IIIa-Antagonisten in 8 Studien verwendet.

 

Insgesamt war die Mortalität, die Anzahl der Reinfarkte und der kombinierte Endpunkt von Tod, Reinfarkt oder invalidisierendem Hirninsult signifikant niedriger bei den Patienten, welche mittels Akut-PTCA behandelt wurden: Siehe Tabelle 1


Wurden die Daten der SHOCK-Studie, welche ausschliesslich Patienten im kardiogenen Schock einschliesst, nicht in die Analyse eingeschlossen, war der Unterschied bezüglich Mortalität in beiden Gruppen noch grösser (5% vs 7%; p = 0.0003). Auch im Langzeitverlauf zeigte sich die Akut-PTCA der Thrombolyse bezüglich Mortalität, Anzahl Reinfarkte, erneuter Ischämie und in Bezug auf den kombinierten Endpunkt (Tod, Reinfarkt und invalidisierender Hirninsult) überlegen.

 

In 5 der 23 Arbeiten wurde untersucht, ob Patienten von der Akut-PTCA profitieren, wenn sie zuerst in ein entsprechendes Zentrum verlegt werden müssen. Die Akut-PTCA war der Thrombolyse in Bezug auf Reinfarkte, Anzahl Hirninfarkte und den kombinierten Endpunkt signifikant überlegen, trotz einer Verzögerung der Reperfusionstherapie durch den Transport (im Mittel um 39 Minuten).

 

Diskussion durch die Autoren

Die Autoren ziehen den Schluss, dass die Akut-PTCA die beste Behandlung des akuten Myokardinfarkts darstellt. Diese Schlussfolgerung gilt unabhängig davon, welches Thrombolytikum verwendet wird, und ob der Patient erst in ein Zentrum verlegt werden muss. In diese Metaanalyse wurde eine Vielzahl von Studien eingeschlossen, welche in sehr unterschiedlichen Spitälern durchgeführt wurden. Die Konstanz der Resultate in allen diesen Arbeiten unterstützt das Ergebnis der vorliegenden Arbeit.

 

Potentielle Nachteile der Akut-PTCA sind Blutungsprobleme an der Punktionsstelle und das Auftreten von akutem Kontrastmittel-induziertem Nierenversagen. In den neueren der eingeschlossenen Studien zeigt sich eine kontinuierliche Abnahme der lokalen Blutungskomplikationen, welche sich durch den Einsatz von kleineren Schleusen, durch die reduzierte Heparingabe und die grössere Erfahrung der Operateure erklären lässt.

 

Die Frage der Kombinationstherapie von Thrombolyse und Akut-PTCA, insbesondere bei längeren Transportwegen, ist noch nicht geklärt und momentan Gegenstand von verschiedenen grossen randomisierten Studien.

 

Zusammenfassender Kommentar

In dieser Metaanalyse werden eine Vielzahl von randomisierten Studien zusammengefasst, welche unter sehr unterschiedlichen Bedingungen in sehr verschiedenen Institutionen durchgeführt wurden. In allen Arbeiten und auch in der vorliegenden sorgfältig durchgeführten Metaanalyse überwiegen die Vorteile der Akut-PTCA gegenüber der Thrombolyse. Somit ist eine jahrelange Kontroverse in der Kardiologie über die beste Behandlung des akuten Myokardinfarkts zugunsten der interventionellen Therapie entschieden. Der grössere logistische und personelle Aufwand der Akut-PTCA zahlt sich letztendlich aus. Insbesondere überwiegen die Vorteile der interventionellen Therapie auch dann, wenn der Patient erst in ein entsprechendes Zentrumspital verlegt werden muss. Dies wird auch in neueren, prospektiv randomisierten Studien bestätigt (DANAMI-2, PRAGUE-2). Bedingung ist allerdings, dass die Intervention durch einen routinierten und gut ausgebildeten interventionellen Kardiologen durchgeführt wird.

 

Die zunehmend wichtiger werdende Frage nach der Kosteneffizienz der aufwändigen interventionellen Therapie wird in der vorliegenden Arbeit nicht diskutiert. Zu diesem Thema liegen aber andere Studienresultate vor, vorwiegend retrospektive Analysen von randomisierten Studien. Diese sprechen diesbezüglich auch eher zugunsten der Akut-PTCA. Mit der nun anbrechenden Ära der (teureren) medikamentös-beschichteten Stents wird diese Frage aber neu diskutiert werden müssen.

 

Ebenfalls nicht abschliessend geklärt ist die Frage nach der kombinierten Therapie von Thrombolyse und interventioneller Therapie, eventuell auch in Kombination mit Glykoprotein IIb/IIIa-Antagonisten. Soll ein Patient vor dem Transport von einem peripheren Spital in ein Zentrumspital für eine Akut-PTCA eine Thrombolyse erhalten oder nicht, und wenn ja, in welcher Dosis? Diese Fragestellungen sind Gegenstand von laufenden grossen Studien.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass man sich aufgrund der Datenlage der Meinung der Studienautoren anschliessen kann. Die Akut-PTCA stellt die momentan beste Therapie des akuten Myokardinfarkts dar unter der Bedingung, dass die Behandlung durch einen erfahrenen interventionellen Kardiologen durchgeführt wird.

 

Besprechung von Dr. med. David Tüller, Oberarzt, Invasive Kardiologie, Schweizer Herz- und
Gefässzentrum Bern, Universitätsklinik Inselspital, 3010 Bern.

Lancet 2003;361:13-20 - E. C. Keeley et al

24.02.2004 - dde

 
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