Monotherapie mit Carbamazepin versus Valproat bei Epilepsie
Eine Meta-Analyse.
Titel
Carbamazepine versus valproat monotherapy for epilepsy: a meta-analysis.
Autoren
Marson, Anthony G., Williamson, Paula R., Clough, Helen, Hutton, Jane L., and David Chadwick, on behalf of the Epilepsy Monotherapy Trial Group.
Quelle
Epilepsia 2002; 43: 505-513
Abstract |
Fragestellung
Lässt sich in einer Meta-Analyse klären, ob Carbamazepin (CBZ) zur Therapie von Epilepsien mit fokalen Anfällen und Valproat (VPA) zur Therapie von Epilepsien mit primär generalisierten Anfällen zu bevorzugen ist?
Hintergrund
Während CBZ von Anfang an und unbestritten als Antiepileptikum (AED) der Wahl zur Behandlung von Epilepsien mit primär fokalen Anfällen eingesetzt wurde, kam VPA zunächst nur als Add-on-Mittel bei Epilepsien mit «kleinen» generalisierten Anfällen (insbesondere Absenzen) zum Einsatz, danach auch bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (= Aufwach-Grand-mal-Anfällen), schliesslich auch bei fokal eingeleiteten, sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (= «fokalen» Grand-mal-Anfällen). Für die letztgenannte Option sprachen insbesondere die Ergebnisse einiger kleinerer randomisierter Studien aus England (ohne Nachweis eines signifikanten Unterschieds zwischen CBZ und VPA), während andere Studien (insbesondere die in den USA durchgeführte CBZ-VPA-Veterans-Administration-Vergleichsstudie bei 480 Patienten) für eine Bevorzugung von CBZ bei Epilepsien mit vorwiegend fokalen Anfällen sprachen.
Methoden
Studiendesign und Setting
Meta-Analyse randomisierter kontrollierter Studien unter Berücksichtigung der individuellen Patientendaten. Auswahl der verfügbaren Daten über Medline-Recherche (1966-2000) und Auswertung der Cochrane-Bibliothek sowie von der pharmazeutischen Industrie.
Einschlusskriterien
- Randomisierte Monotherapiestudien mit Vergleich von CBZ und VPA (doppelblinde, einfachblinde oder offene Studien, sowohl quasi-randomisierte Studien (z.B. Zuteilung nach Geburtsdatum) als auch Studien mit methodisch adäquater Randomisierung
- Bei Kindern und Erwachsenen mit entweder fokalen Anfällen (ohne oder mit sekundärer Generalisierung) oder mit primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (PGTKA; ohne oder mit anderen generalisierten Anfallsformen wie Absenzen oder Myoklonien)
Ausschlusskriterien
Studien, die nicht den Einschlusskriterien entsprachen.
Intervention
Keine.
Primäre Endpunkte
Zeit bis zum Absetzen der randomisierten Medikation (retention time) wegen mangelnder Wirkung, relevanter Nebenwirkungen oder aus beiden Gründen oder bis zur Notwendigkeit, ein weiteres AED hinzu zu geben.
Darstellung der Ergebnisse als Hazard ratios (HR) mit dem jeweiligen Vertrauensintervall.
Sekundäre Endpunkte
- Zeit bis zum Auftreten eines ersten Anfallsrezidivs nach erfolgter Randomisierung, sowie
- Zeit bis zum Erreichen einer Einjahresremission (= Anfallsfreiheit über 1 Jahr).
Dabei Auswertung auf einer Intention-to-treat Basis, also unabhängig davon, ob die Patienten bei der initial randomisierten Medikation blieben oder nicht.
Beobachtungsdauer
Retrospektive Meta-Analyse.
Resultate
Basisdaten
Insgesamt standen die Daten von 1’265 Patienten aus 5 Studien zur Verfügung (= 85% der veröffentlichten Daten; einige kleinere Studien konnten aus unterschiedlichen Gründen nicht berücksichtigt werden). Es handelte sich bei 4 Studien um Patienten mit bislang unbehandelter Epilepsie, bei der fünften auch um teilweise unzureichend vorbehandelte Patienten. Eine geplante Auswertung nach Subgruppen der Patienten mit fokalem oder generalisiertem Anfallsbeginn scheiterte daran, dass bei einigen Studien im Follow-up keine Differenzierung der Anfallsformen erfolgt war. Entsprechend konnten generalisierte Anfälle auch nur als primär generalisierte tonisch-klonische Anfällen (PGTKA) in die Auswertung einbezogen werden; die Differenzierung der Patientengruppen bestand in solche mit fokalem Anfallsbeginn und solchen mit PGTKA.
Gruppenvergleich der Endpunkte
Der Vergleich für den primären Endpunkt (Zeit bis zum Absetzen eines Medikaments) und auch für die beiden sekundären Endpunkte (Zeit bis zum Auftreten eines ersten Anfallsrezidivs sowie Zeit bis zum Erreichen einer Einjahresremission) ergab insgesamt keinen Hinweis für eine Überlegenheit eines der beiden Medikamente.
Eine Analyse bezüglich einer Interaktion zwischen Behandlung und Anfallsform zeigte hinsichtlich des Endpunkts «Zeit bis zum Auftreten eines ersten Anfallsrezidivs» einen signifikanten Unterschied: Für die Subgruppe der Patienten mit fokalen Anfällen war eine statistisch signifikante Überlegenheit von CBZ nachweisbar. Ein entsprechender Trend war auch bezüglich des Erreichens einer Einjahresremission zu verzeichnen.
Diskussion durch die Autoren
Die Autoren machen selbst auf mögliche Ursachen der negativen Resultate ihrer Studie aufmerksam. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass der hohe Anteil erwachsener Patienten mit der Diagnose (primär) generalisierter Anfälle dafür spricht, dass viele falsch klassifiziert wurden (es sich also tatsächlich um Patienten mit fokalen Anfällen handelte). Bei Durchführung einer entsprechenden Reklassifizierung ergaben sich zum Teil signifikante Unterschiede.
Die Autoren machen darüber hinaus auch darauf aufmerksam, dass wegen der grossen Konfidenzintervalle aus ihren Daten nicht der Rückschluss auf eine Äquivalenz von CBZ und VPA gerechtfertigt ist.
Zusammenfassender Kommentar
Bemerkungen zum Studiendesign und Beschreibung
Die grosse Frage bei derartigen Meta-Analysen bezieht sich auf die Qualität der Daten der zugrunde liegenden und ausgewerteten Studien. Dies ist für die vorliegende Arbeit besonders wichtig bezüglich der Anfallsklassifizierung, also der Frage, ob die Patienten korrekt den beiden Gruppen «fokale» und «generalisierte Anfälle» zugeordnet wurden. Dies darf insbesondere bei den 4 (von insgesamt 5) für die Meta-Analyse berücksichtigten Studien angezweifelt werden, die in England durchgeführt wurden. Wenn allein bei einer retrospektiven Betrachtung der Daten auffällt, dass mehr als 100 Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch klassifiziert wurden, kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl noch weit höher liegt.
Für die klinische Praxis kann festgehalten werden, dass für Patienten mit fokalen Anfällen selbst in dieser Meta-Analyse bezüglich des Kriteriums «Zeit bis zum Auftreten eines Anfallsrezidivs» eine Überlegenheit von CBZ gegenüber VPA nachweisbar war. Berücksichtigt man zusätzlich die Daten der methodisch besten und nach wie vor aussagekräftigsten Studie zu dieser Frage (amerikanische VA-Studie; Mattson et al.: NEJM 1992; 327: 765-771), die in der vorliegenden Meta-Analyse durch die englischen Studien «verwässert» wurde, besteht kein Anlass, an der Überlegenheit von CBZ gegenüber VPA bei Epilepsien mit fokalen Anfällen zu zweifeln.
Studienbesprechung von Dr. med. G. Krämer, Medizinischer Direktor, Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, 8008 Zürich
Epilepsia 2002; 43: 505-513 - A. G. Marson et al
17.02.2004 - dde