Internet als Informationsmedium für Patienten
Informationssuche im Internet durch Patienten einer Lungenkarzinom-Klinik.
Titel
Patient use of the internet for information in a lung cancer clinic.
Autoren
Peterson MW, Fretz PC.
Quelle
Chest 2003 Feb;123(2):452-7
Abstract |
Fragestellung
Das Internet ist heutzutage ein Informationsmedium, das alle Kontinente, Kulturen und sozialen Schichten erreicht hat. Auch medizinische Informationen sind im Internet in Fülle vorhanden. Es existieren jedoch sehr wenige Daten über das Verhalten von Patienten beim Suchen von medizinischen Informationen im Internet. Diese Studie stellt 3 Fragen und sucht deren Antwort in einem eng definierten Patientenkreis: Wie oft benutzen Patienten das Internet zur Beschaffung von Informationen über ihr Leiden? Gibt es bei dieser Internetnutzung demographische Unterschiede? Wie wird die Qualität der gefundenen Informationen von den Patienten eingeschätzt?
Hintergrund
Patienten versuchen zunehmend, sich über ihre Leiden zu informieren. Gut informierte Patienten können bei wichtigen Entscheidungen betreffend Diagnostik und Therapie ihrer Krankheit besser mitwirken. Da das Internet in unserer Gesellschaft als Informationsquelle an Bedeutung gewinnt, suchen Patienten auch zu gesundheitsbezogenen Themen vermehrt Informationen. Die Problematik bei der Suche besteht in der sinnvollen Auswahl aus einer grossen Fülle und im Erkennen von qualitativ hochwertiger Information.
Untersuchungen über das Verhalten von Patienten bei der Beschaffung von medizinischen Informationen im Internet sind nötig, damit Patienten bei der Informationssuche optimal unterstützt werden können.
Methoden
Studiendesign
Unkontrollierte Umfrage mittels Fragebogen bei ausgewählten Patienten.
Setting
Ambulante Patienten mit möglichem oder diagnostiziertem, intrathorakalem Karzinom, die an einer multidisziplinären Klinik (University of Iowa, Health Care Holden Comprehensive Cancer Center, Multidisciplinary Thoracic Oncology Clinic, Iowa City, USA) behandelt wurden.
Einschlusskriterien
Behandlung innerhalb der dreimonatigen Studienperiode.
Ausschlusskriterien
Fragebogen nicht vollständig ausgefüllt.
Fragebogen
Achtzehn Fragen zum Verhalten bei der Suche von medizinischen Informationen im Internet.
Fragen
Alter, Geschlecht, Diagnose, Erst- oder Folgekonsultation an Klinik, Grösse der Wohngemeinde, Beruf, Vorhandensein eines Computers im Haushalt, Zugang zum Internet, Ort des Internetzugangs, Internetnutzung pro Woche, Bereitschaft zur Nutzung des Internets im Warteraum der Klinik, Quellen von medizinischen Informationen, Qualitätsbeurteilung der Informationen aus allen Quellen, Qualitätsbeurteilung der Informationen von Webseiten, Grund für das Konsultieren einer medizinischen Webseite, Zufriedenheit mit eigenem Informationsstatus, Einkommen, Schulbildung.
Resultate
Patienten
In der Zeit der Umfrage besuchten 184 Patienten die Klinik. Von diesen 184 Patienten gaben 139 (75.5%) einen vollständig ausgefüllten Fragebogen ab. Bei 56.5% der Patienten war ein Computer im Haushalt vorhanden. 37.4% der Patienten hatten Zugang zum Internet, welches im Schnitt 8.4 Stunden pro Woche benutzt wurde. Lediglich 22 Patienten (16%) benutzten das Internet für die Suche von medizinischen Informationen.
Das Durchschnittsalter der eingeschlossenen Patienten betrug 58.5 Jahre. 61% der Patienten waren Männer. Die Wohngemeinde zählte bei 64.7% der Patienten weniger als 25’000 Einwohner. Das durchschnittliche Einkommen lag zwischen 25’000 und 50’000 US$ pro Jahr. 83% der Patienten gaben einen Mittel- oder Oberstufenabschluss und 23% einen Berufs- oder Hochschulabschluss als höchste Ausbildung an.
Insgesamt nannten die Patienten neun verschiedene Quellen für medizinische Informationen (Mehrfachnennungen möglich). Die häufigsten Quellen waren Ärzte (82% Spezialist, 47% zuweisender Arzt), gefolgt vom Internet (16%), Familie und Freunde (14%), medizinische Journals (6%), Magazine (6%), Fernsehen (3%), medizinische Bibliothek (1%) und öffentliche Bibliothek (1%).
Internetnutzung
Von 139 Patienten gaben 22 (16%) an, das Internet zur Beschaffung von medizinischen Informationen genutzt zu haben.
Vergleich Internetbenutzer und Nichtbenutzer
Zur Beantwortung der Frage, wie sich Internetbenutzer von Nichtbenutzern unterscheiden, wurden die 22 Benutzer mit den 117 Nichtbenutzern verglichen. Bei höherem Schulabschluss und höherem Einkommen wurde das Internet stärker genutzt. Die Grösse der Wohngemeinde hatte keinen Einfluss auf die Internetnutzung. Bei allen Internetbenutzern war ein Computer mit Internetanschluss im Haushalt vorhanden; nur 34% der Nichtbenutzer hatten einen Computer zu Hause und 28% einen eigenen Internetanschluss. Bei der Frage, ob die Patienten im Warteraum der Klinik das Internet benutzen würden, fand sich ein deutlicher Unterschied zwischen den Internetbenutzern (65%) und Nichtbenutzern (16%).
Qualität der Informationen
Die dritte Fragestellung untersuchte die Einschätzung der Qualität der erhaltenen medizinischen Informationen. Patienten stuften die Qualität in vier vordefinierte Gruppen ein (schlecht, gut, sehr gut oder herausragend). Die Antworten von allen Befragten zu Informationen aus allen Quellen wurden mit den Antworten der Internetbenutzer zu Informationen aus dem Internet verglichen. Dieser Vergleich zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Die Gruppen unterschieden sich auch nicht in der Frage, wie gut sich die Patienten über ihr Leiden informiert fühlen.
Diskussion durch die Autoren
Informierte Patienten können sich an Entscheidungen über das medizinische Vorgehen bei ihrer Krankheit besser beteiligen. Besonders bei schweren Leiden wird so die Pflege der Patienten verbessert. Das Internet hat das Informationsangebot revolutioniert. Es ist aber sehr wenig darüber bekannt, wie stark Patienten das Internet wirklich nutzen, um gezielt Informationen über ihre Krankheit zu finden. Deshalb wurde absichtlich statt der allgemeinen Bevölkerung ein enges Patientenkollektiv befragt, bei welchem durch die Ernsthaftigkeit der Erkrankung anzunehmen ist, dass die Patienten zur Informationssuche besonders motiviert sind.
Insgesamt gaben 16% der Patienten an, das Internet zur Beschaffung von Informationen über ihre Krankheit zu nutzen. Nach den Ärzten war das Internet die zweithäufigste Informationsquelle. Da die Internetnutzung in der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren stark am wachsen ist und 60% der Befragten mässiges bis hohes Interesse an einem Internetanschluss im Wartezimmer der Klinik bekundeten, besteht bei Patienten Potenzial für eine Zunahme der Informationssuche zur eigenen Krankheit im Internet.
Im Gegensatz zu medizinischen Printmedien ist die Qualitätskontrolle bei medizinischen Internetseiten nicht gegeben. Der Leser trägt also mehr Verantwortung für die Qualitätsbeurteilung der erhaltenen Informationen. Ausserdem ist die Mehrzahl der medizinischen Internetseiten in Englisch verfasst, zudem oft auf einem zu hohen sprachlichen Niveau.
Verschiedene Studien ergaben unterschiedliche Resultate über die Zufriedenheit von Patienten mit den im Internet gefundenen medizinischen Informationen. In dieser Studie schnitten Informationen von Ärzten und Informationen aus dem Internet gleich gut ab. Es scheint also, dass Patienten die Qualität von medizinischen Informationen aus dem Internet überschätzen.
Diese Studie hat nicht untersucht, wie sich die im Internet gefundenen Informationen auf die Betreuung oder Patientenzufriedenheit auswirken. Studien an anderen Patientengruppen ergaben aber erste positive Resultate. Je eine Studie zu Internet-basierter Information von Diabetespatienten und herzchirurgischen Patienten wiesen erhöhte soziale Akzeptanz, verbessertes Zurechtkommen mit der eigenen Krankheit und Abnahme der Angst nach.
Patienten haben einen Bedarf nach vermehrten Informationsangebot. Das Internet ist eine wichtige Quelle dafür, besonders bei schwindenden Alters- und Internetzugangsbarrieren. Dabei stellen sich aber Fragen zur Qualitätskontrolle von medizinischen Webseiten, zur Steuerung von Patienten zu geeigneten Webseiten und zur Wirksamkeit von Patientenbildung im Internet.
Zusammenfassender Kommentar
Mit der Zunahme des Informationsangebotes durch Print- und audiovisuelle Medien informieren sich Patienten vermehrt über ihre Krankheiten. Im klinischen Alltag werden Ärzte regelmässig von Patienten mit Informationen konfrontiert, die ausserhalb des Gesundheitswesens erworben wurden. Durch das Internet dürfte sich dieser Trend noch verstärken.
Die Studie von Peterson und Fretz untersucht interessante und wichtige Fragen zur Nutzung des Internets durch Patienten. Bei der Auswertung wurden die Internetbenutzer mit den Nichtbenutzern bzw. der Gesamtheit der befragten Patienten verglichen. Die Gruppe der Internetbenutzer zählte nur 22 Patienten (16%) und scheint zu klein, um repräsentativ zu sein. Ausserdem können die Resultate aus dieser Studie nicht ohne weiteres auf andere Patientengruppen oder Länder übertragen werden. Dennoch belegt diese Studie die wichtige Rolle, die das Internet heutzutage bei der Information von Patienten spielt, und gewährt Einblick in neue Probleme der Medizin.
Die Aussagen dieser Studie können eine Grundlage für grössere und methodisch hochwertigere Studien darstellen, welche Fragen zur Qualitätskontrolle von medizinischen Webseiten, zur Steuerung von Patienten zu geeigneten Webseiten und zur Wirksamkeit von Patientenbildung im Internet beantworten könnten.
Bei dem in der heutigen Zeit bestehenden Kostendruck in der Medizin und Wunsch nach Effizienzsteigerung der Ärzte wäre es denkbar, einen Teil der ärztlichen Aufklärung der Patienten ins Internet zu verlagern. Eine bessere Strukturierung und Kontrolle des Informationsangebotes, wie es die Autoren in der Schlussfolgerung fordern, wäre in diesem Zusammenhang eine Grundvoraussetzung.
Besprechung von Dr. med. Olivier Giovanoli und Dr. med. Serge Reichlin, Medgate, Basel.
Chest 2003 Feb;123(2):452-7 - M. W. Peterson et al
25.02.2004 - dde