Ernährung, körperliche Aktivität und Nahrungsergänzungen
Eine Telefoninterview-basierte Umfrage zur Veränderung dieser Faktoren bei Tumorpatienten.
Titel
Changes in diet, physical activity, and supplement use among adults diagnosed with cancer.
Autoren
Ruth E. Patterson, Marian L. Neuhouser, Monique M. Hedderson,Stephen M. Schwartz, Leanna J. Standish, Deborah J. Bowen.
Quelle
Journal of the American Dietetic Association 2003; 103: 323-328
Abstract |
Fragestellung
Veränderung von Ernährungsgewohnheiten, körperlichen Aktivitäten und Einnahme von Nahrungsergänzungen bei Tumorpatienten: aktive Umstellung und Einfluss auf das Wohlbefinden der Patienten.
Hintergrund
Lebensbedrohliche Gesundheitsereignisse wie Tumorerkrankungen lösen psychologischen Stress aus, der die betroffenen Personen zur Risikoreduktion motiviert, beispielsweise über gesündere Ernährung, körperliche Betätigung und Rauchstopp.
Methoden
Studiendesign
Ein Telefoninterview wurde von professionellen Interviewern anhand eines standardisierten Fragebogens bei einer populationsbezogenen Stichprobe von Patienten mit definierten Karzinomen durchgeführt.
Setting
Die Patientenpopulation wurde durch das Cancer Surveillance System gemäss SEER in 13 westlichen Counties des US-Staates Washington definiert. Dabei wurden englisch sprechende Tumorpatienten mit Telefon zufällig ausgewählt. Vor dem Interview wurde das Einverständnis des Hausarztes eingeholt.
Einschlusskriterien
Es wurden erwachsene Patienten mit Brust-, Prostata- oder kolorektalen Karzinomen eingeschlossen, da diese generell ein längeres Überleben als Patienten mit anderen Tumorarten aufweisen. Bei einer Hälfte wurde das Karzinom bis 11 Monate vor dem Interview diagnostiziert, bei der anderen Hälfte 12 bis 24 Monate vor dem Interview.
Primäre Endpunkte
Die Veränderungen von Ernährungsgewohnheiten, körperlichen Aktivitäten und Einnahme von Nahrungsergänzungen in den 12 Monaten vor Befragung wurden wie folgt erfasst:
- Ernährungsfragen
«Haben Sie in den letzten 12 Monaten zur Reduktion eines Wiederauftretens des Karzinoms Ihre Ernährung verstärkt verändert?»
Wenn ja, Antwortkategorien: «Wurde Vegetarier, ass mehr Früchte und Gemüse, ass weniger rotes Fleisch, ass weniger Fett, ass gesundheitsbewusster, fastete, ernährte mich mit Säften, nahm Ergänzungsnahrung zu mir, befolgte eine Diät zur Gewichtsreduktion, anderes».
- Körperliche Aktivität
«Haben Sie eine körperliche Aktivität zur Reduktion eines Wiederauftretens des Karzinoms in den letzten 12 Monaten begonnen?»
Wenn ja, Antwortkategorien: «Aerobic-Übungen, andere Übungen wie Gewichtheben, Atmungsübungen, Qi Gong, Tai Chi, Yoga, anderes».
- Nahrungsergänzungen
«Haben Sie in den letzten 12 Monaten mit dem Verzehr von Nahrungsergänzungen zur Reduktion eines Wiederauftretens des Karzinoms begonnen?»
Wenn ja, Antwortkategorien: «Vitamine, Mineralien, Kräuter, anderes».
Die Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten, der körperlichen Aktivitäten und der Einnahme von Nahrungsergänzungen wurden anschliessend mit der Beantwortung folgender Frage verbunden: Die «Veränderung» hat meine körperliche und geistige Gesundheit und mein Wohlbefinden verbessert (stimme völlig zu – stimme zu – stimme nicht zu – stimme überhaupt nicht zu).
Zusätzlich wurden folgende Parameter zur Bestimmung von psychosozialen Faktoren erfasst und klassifiziert:
- Einschätzung des eigenen Gesundheitsstatus: exzellent – sehr gut – gut – mittelmässig – schlecht
- Summenscore zur Bestimmung des Wunsches nach Krebskontrolle (adaptierter Fragebogen von Zahnarztpatienten) anhand einer 4-Punkte-Skala (von starker Ablehnung bis starker Zustimmung) in Bezug auf Krebsbehandlung und Krebssymptome
- Einschätzung, inwieweit das eigene Verhalten die Krebskrankheit beeinflusst (4-Punkte-Skala zur Bestimmung des «inneren Ortes» der Gesundheitskontrolle)
- Alter, Geschlecht, Rasse, Ausbildung
- Art der Behandlungen (Operation, Hormon- und/oder Chemo- und Radiotherapie) und Intensität (0, 1, 2, mehrere Behandlungen)
Statistik
Angaben von Prozenten der Patienten, die zustimmen oder völlig zustimmen, wurden aufgelistet. Eine logistische Regression zur Abschätzung der odds ratio in bezug auf Änderung des Lebensstils, entsprechend Geschlecht, Altersgruppen, Ausbildung, Art des Karzinoms, Tumorstadium bei Diagnose, Anzahl von Behandlungen und Zeit seit Diagnose wurde durchgeführt und ein p-Wert für Trend berechnet.
Resultate
Basisdaten
Die Einschlusskriterien waren von insgesamt 511 Patienten erfüllt, davon wurden 356 interviewt (70.6%). Gründe für die Nichtteilnahme an der Umfrage waren: Weigerung des Hausarztes (5.0%), Unauffindbarkeit (7.9%), Patientenweigerung (15.3%) sowie Krankheit (1.2%).
Patienten
126 Patientinnen hatten ein Mammakarzinom, 114 Patienten ein Prostatakarzinom, 116 (ohne Geschlechtsangabe) ein kolorektales Karzinom.
Über keine Änderung des Lebensstils berichteten 33.7% der Tumorpatienten, 32.9% berichteten über eine «Modifikation», 23.9% über zwei. Mehr als drei «Modifikationen» fanden sich bei 9.6% der Antwortenden.
Die Änderungen der Ernährungsgewohnheiten (Siehe Tabelle 1) korrelierten signifikant mit jüngerem Alter (p < 0.001), längerer Ausbildung (p < 0.05) und mehrfachen medizinischen Behandlungen (p < 0.01).
Die Änderungen der körperlichen Aktivitäten (Siehe Tabelle 2) korrelierten signifikant mit mehrfachen medizinischen Behandlungen (p < 0.01).
Die Einnahme von Nahrungsergänzungen (Siehe Tabelle 3) korrelierte signifikant mit weiblichem Geschlecht (p < 0.05), jüngerem Alter (p < 0.05), längerer Ausbildung (p < 0.01), Tumorstadium (p < 0.05), Wunsch nach persönlicher Kontrolle (p < 0.05), «innerer Ort der Kontrolle» (p < 0.05) sowie negativ mit Prostatakarzinomdiagnose (p < 0.05).
Diskussion durch die Autoren
Etwa zwei Drittel der Tumorpatienten berichten über Änderungen bezüglich Ernährung, körperlicher Aktivität und Einnahme von Nahrungsergänzungen. Die meisten Veränderungen waren gesundheitsfördernd und sind im Einklang mit Empfehlungen der American Cancer Society. Andere Änderungen (Nahrungsergänzungen) sind umstritten (Antioxidantien wie Vitamin C können mit Chemo- oder Radiotherapie interferieren). Die grosse Mehrheit der Patienten empfand, dass die Veränderungen ihres Lebensstils Gesundheit und Wohlbefinden verbesserten. Bessere Ausbildung, jüngeres Alter, weibliches Geschlecht und mehrere onkologische Therapien waren Parameter für gehäufte Änderungen und sind im Einklang mit Studien über die Prävalenz hinsichtlich Inanspruchnahme von komplementärmedizinischen Massnahmen.
Ein grosser Wunsch nach Kontrolle war lediglich korreliert mit einer erhöhten Rate von Nahrungsergänzungen, was Ausdruck von anderen psychosozialen Faktoren sein kann und damit mehr als Verhaltensmuster für den Umgang mit den Nachwirkungen des Krebses gesehen wird. Grenzen der Studien sind die Antwortrate von 70.8% (Patienten ohne Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens durch die genannten Massnahmen antworten vielleicht nicht). Zudem waren nur ausgewählte Tumorentitäten zugelassen (eine Generalisierung der Ergebnisse auf alle Tumorpatienten – bzw. alle Tumorarten – ist schwierig, da bei einer längeren Überlebenswahrscheinlichkeit die Motivation zur Änderung der Lebensgewohnheiten höher ist). Schliesslich basieren die Ergebnisse auf der Erinnerung der Patienten zu einem einzigen Zeitpunkt (es handelt sich nicht um eine prospektive Untersuchung, es gab auch keine wiederholten Interviews zum Verlauf). Ferner bezieht sich die Untersuchung nur auf weisse Personen.
Zusammenfassender Kommentar
Die Modifikation des Lebensstils durch Veränderung von Ernährung, körperlicher Aktivität oder Nahrungszusätzen wird beschrieben und mit soziodemografischen, klinischen und psychosozialen Parametern korreliert. Aufgrund der von den Autoren selbst angegebenen Grenzen dieser Studie ist eine Verallgemeinerung der Ergebnisse auf alle Tumorpatienten nicht möglich. Bedeutsam ist dennoch die hohe Anzahl von Patienten, die mit den erwähnten Massnahmen versuchen, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu verbessern. Dies entsteht aus einem grossen Bedürfnis nach aktiver Mitarbeit bei der Bekämpfung der Tumorkrankheit und der Verbesserung des Lebensstils. Dieses Bedürfnis stellt für das medizinische Personal eine Herausforderung dar, bewusster mit den Patienten über Änderungen des Lebensstils zu diskutieren, insbesondere weil diese Aspekte im klinischen Alltag oft zu kurz kommen.
Besprechung von Dr. med. K.T. Beer, Radio-Onkologie, Inselspital Bern.
Journal of the American Dietetic Association 2003; 103: 323-328 - R. E. Patterson et al
24.02.2004 - dde