Editorial
Diabetes-Therapie und -Prävention: The best and worst of times
Aufgrund von Schätzungen der World Health Organisation (WHO) [1] muss angenommen werden, dass sich die Diabetesprävalenz bis ins Jahr 2010 verdoppeln dürfte und es wird weltweit bis zu diesem Zeitpunkt mit 220 Mio. Diabetikern gerechnet. Gleichzeitig bleiben trotz aller therapeutischer Fortschritte Diabetesmorbidität und -mortalität hoch. Im Rahmen der CODE-2-Studie (Costs of Diabetes in Europe) wurden unlängst die Gesamtkosten für Typ 2-Diabetiker parallel in acht europäischen Ländern detailliert erfasst. In Deutschland z.B. führte der Diabetes mellitus zu volkswirtschaftlichen Gesamtkosten von 31.4 Milliarden DM (1998) und zu Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen von 18.5 Milliarden DM, was 8% aller Leistungen entspricht. Eine zu späte bzw. eine ungenügende Behandlung führt dazu, dass über 50% Typ 2-Diabetiker schwerwiegende Folgeerkrankungen aufweisen – mit 4.1-fachen Kosten gegenüber den durchschnittlichen Ausgaben für Krankenversicherte. Neben den dramatischen persönlichen Folgen für die Betroffenen (Amputationen, Erblindungen, Dialysebehandlungen, Herzinfarkte und Schlaganfälle) steht uns also mit fortschreitender medizinischer Entwicklung und zunehmender Diabetesprävalenz auch eine gewaltige Kostenlawine bevor. Aus sozio-ökonomischer Sicht sind deshalb Ansätze zur Diabetesbehandlung, die in der Lage sind, die Inzidenz des Diabetes mellitus und der Diabetes-assoziierten Komplikationen zu vermindern, ihr Fortschreiten zu bremsen und derzeitige Therapieschwierigkeiten zu umgehen, dringend gefordert.
Diesen deprimierenden epidemiologischen und ökonomischen Zahlen steht glücklicherweise ein hartes Faktum gegenüber: Die Therapie des Diabetes mellitus ist immer mehr «evidence-based»! Im Vordergrund stehen dabei die «Landmark»-Studien DCCT [2] und UKPDS [3,4], welche eindrücklich die Bedeutung der optimalen Diabeteseinstellung dokumentieren. In den letzten zwei Jahren sind aber auch bedeutende randomisierte Studien zur Diabetesprävention publiziert worden (Tuomilehto et al. [5], Besprechungen von Knowler und Chiasson in dieser Nummer). Zum einen sind es klar «lifestyle»-Massnahmen, welche das Risiko eines Forschreitens von der gestörten Glukosetoleranz zum Diabetes reduzieren. Zum anderen sind aber auch Metformin und die Acarbose dazu in der Lage. Beeindruckend ist auch die grosse Zahl neuerer Zusammenstellungen, die die derzeitige Evidenz bezüglich Therapie des Diabetes allgemein [6,7], hinsichtlich der Blutdrucksenkung [8,9,10] und Lipidsenkung [11] sowie hinsichtlich geeigneter Ernährungsmassnahmen [12] beleuchten. Die im vorliegenden Heft erscheinenden Artikel bringen dazu weitere Evidenz.
In der Tat haben wir «The best and worst of times» [6]. Zum einen wissen wir heute, was wir therapeutisch zu tun haben! Die Evidenz unterstützt heute die Postulate der frühen, primär an der Korrektur pathophysiologischer Abnormitäten orientierten Diabetologen: Intensive Kontrolle und aggressive Therapie sind gefordert. Entsprechende therapeutische Ziele sind unter anderem durch die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) und die Ärztekommission der Schweizerischen Diabetes-Gesellschaft (SDG) erarbeitet worden (www.saez.ch/pdf/2000/2000-25/2000-25-452.pdf). Die Kehrseite der Medaille: Wenn die geforderten Ziele erreicht werden sollen, wird die Polypragmasie zur Regel. Gleichzeitig steigen natürlich die Kosten für die medikamentöse Therapie, was ganz besonders auch in Anbetracht der steigenden Diabetesinzidenz beunruhigen muss. Nach der pathophysiologischen Plausibilität und der klinischen Evidenz wird zunehmend und dies nicht nur von Krankenkassen eine «ökonomische Evidenz» gefordert.
PD Dr. Peter Diem, Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie, Inselspital, Bern
Referenzen
1 Amos AF, McCarty DJ, Zimmet P. The rising global burden of diabetes and its complications: estimates and projections to the year 2010. Diabet Med 1997; 14:S1–85. 2 DCCT Research Group: The effect of intensive insulin treatment of diabetes on the development and progression of long-term complications in insulin-dependent diabetes mellitus. N Engl J Med 1993; 329:977-986. 3 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 1998; 352:837-853. 4 UK Prospective Diabetes Study Group. Tight blood pressure control and risk of macrovascular and microvascular complications in type 2 diabetes (UKPDS 38). BMJ 1998; 317:703-713. 5 Tuomilehto et al. Prevention of type 2 diabetes mellitus by changes in lifestyle among subjects with impaired glucose tolerance. N Engl J Med 2001; 344:1343-50. 6 Flemmer MC, Vinik AI. Evidence-based therapy for type 2 diabetes: the best and worst of times. Postgrad Med 2000, 107:27-47. 7 Evidence-Based Diabetes Care. Hertzel C. Gerstein, und R. Brian Haynes (Hrsg.). BC Decker Inc, Hamilton, London, 2001. 8 Bakris G, Sowers J, Epstein M, et al. Hypertension in patients with diabetes: why is aggressive treatment essential? Postgrad Med 2000; 107:53-64. 9 Elliott WJ, Maddy R, Toto R, et al. Hypertension in patients with diabetes: overcoming barriers to effective control. Postgrad Med 2000; 107:29-38. 10 Sowers JR, Williams M, Epstein M, et al. Hypertension in patients with diabetes: strategies for drug therapy to reduce complications. Postgrad Med 2000; 107:47-60. 11 Marcus AO. Lipid disorders in patients with type 2 diabetes: meeting the challenges of early, aggressive treatment. Postgrad Med 2001; 110:111-23. 12 Evidence-Based Nutrition Principles and Recommendations for the Treatment and Prevention of Diabetes and Related Complications, Diabetes Care 2002; 25:202-12.
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