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Bericht über Sars

Was muss die Ärzteschaft über eine Infektion wissen, die es bei uns (noch) nicht gibt?

Auch wenn ich diesen Artikel erst am 19. Mai, lange nach Redaktionsschluss dieser Nummer abgeben konnte, so hat sich die Sars-Epidemie bestimmt schon gewandelt, wenn die druckfrische Ausgabe in den Händen der Leser liegt. Der exponentielle Anstieg des Wissens um die neue Krankheit bedingt, dass praktisch jede Referenz auf aktuelle Artikel nur im Internet im online Format verfügbar ist. Bei der Entwicklung der Sars-Fallzahlen (v.a. China!) scheint die exponentielle Phase überwunden zu sein. Zur Zeit sind weltweit knapp 8’000 Personen an Sars erkrankt.

 

Sars: Beispiel einer neu auftretenden Infektionskrankheit

Das plötzliche Auftreten einer Infektionskrankheit, welche sich in einer Region oder in der ganzen Welt verbreitet, ist nicht neu. In jüngster Zeit wird immer wieder über Ausbrüche von Ebola-Virus-Infektionen berichtet. Die rasche Ausbreitung des Rinderwahnsinns in den 90er Jahren traf uns Menschen nur am Rande. In den 80er Jahren ist Aids aus dem Nichts aufgetaucht. Zahlreiche andere Beispiele sind bekannt: West-Nil-Virus wurde vor zwei Jahren durch Zugvögel in New-York eingeschleppt und hat sich inzwischen auf fast die gesamte USA ausgebreitet. Die Spanische Grippe hat 1918 mehr Tote gefordert als der Erste Weltkrieg. In den Jahrhunderten zuvor war die Pest nicht weniger gefährlich. Alle diese Beispiele haben drei Faktoren gemeinsam:

  • Immer gelangt ein für den Menschen unbekannter Infektionserreger vom Tier auf den Menschen
  • Verhaltensänderungen von Menschen und Tier(haltung) begünstigen den Speziessprung
  • Die globale Ausbreitung des Erregers wird durch die Mobilisation der Völker akzentuiert

Auch der Ausbruch eines neuen Influenza-Stammes (H7N7) in den Niederlanden im März dieses Jahres ist auf die veränderte Nutztierhaltung zurückzuführen.

 

Menschen und Tiere leben immer in einer engen Symbiose mit Mikroorganismen. Um gesund zu bleiben brauchen wir zahlreiche Bakterien und Viren, mit denen wir uns gut vertragen. Nur ganz selten gelangen wir in einen Konflikt mit einem unliebsamen Eindringling, was wir dann als Infektion bezeichnen. Auch Tiere leben mit «ihren» Mikroorganismen in Frieden. Doch dort, wo sich Tier und Mensch treffen, kann hin und wieder ein harmloser Gast des Tieres auf den Menschen übertragen werden. Schon die Pocken wurden vor Jahretausenden vom Nutztier (vermutlich Pferde) auf den Menschen übertragen. So dürfte es auch im Fall von Sars gewesen sein. Die globale Ausbreitung von Sars wurde erst durch den internationalen Flugverkehr möglich. Wie wir anhand der jüngsten Entwicklungen in China erkennen, muss die Infektionskrankheit bereits einige Zeit in China grassiert haben. Erst als die Krankheit die internationale Metropole Hongkong erreicht hatte, kam es zur Globalisierung des Erregers.

 

Globalisierung hat auch Vorteile

Die Mobilität der Gesellschaft und deren Produkte (insbesondere Lebensmittel) ist zwar in der Tat eine massive Gefährdung für eine internationale Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Doch gleichzeitig bringt uns die internationale Vernetzung auch viele Vorteile, die gerade im Falle von Sars augenfällig sind. Es gab noch nie eine Infektionskrankheit, deren Ätiologie so rasch identifiziert wurde. Am 12. März hat die WHO erstmals auf eine schwere, atypische Pneumonie aufmerksam gemacht. Fünf Tage später hat die WHO ein internationales Netzwerk von Laboratorien zur ätiologischen Klärung der Krankheit ins Leben gerufen und nach weiteren 13 Tagen war der ursächliche Erreger, ein neues Coronavirus (HCoV), identifiziert und sequenziert. Bereits am 13. Mai, also zwei Monate nach der WHO-Warnung, wurde eine Proteinase des HCoV und eine mögliche Klasse von Proteinase-Inhibitoren charakterisiert. Am 15. Mai wurde die Erfüllung der Koch’schen Postulate für das HCoV im Nature publiziert. Die Übertragung des HCoV (aus Zellkultur) von einem an Sars verstorbenen Patienten auf zwei Berberäffchen führte bei den Tieren zum identischen pathologischen Bild im Lungengewebe wie beim Verstorbenen. Damit schieden alle anderen vermuteten Ätiologien (Paramyxoviren, Chlamydien, Influenza) aus. Dieses Tempo einer Erregeridentifikation ist beispiellos.

 

Weshalb die grosse Eile?

Doch war es überhaupt notwendig, plötzlich so viel Energie auf eine neue Krankheit zu fokussieren, die weltweit bisher einige hundert Todesopfer gefordert hat, deutlich weniger als weltweit jeden Tag an Masern sterben? Sars weist effektiv einige Merkmale auf, welche die Krankheit zur grossen Bedrohung für die ganze Menschheit machen. Eine der bedrohlichsten Eigenschaften der Infektion ist deren hohe basale Reproduktionsrate (R0). Eine infizierte Person kann im Durchschnitt 15 bis 20 weitere Personen anstecken. Diese ausgesprochen hohe R0 ist etwa gleich hoch wie für Masern. Doch anders als bei Masern, hat die Infektion eine hohe Letalität. Je nach Alterskategorie versterben 10-20% der an Sars akut erkrankten Menschen. Die hohe Kontagiosität und Letalität machen Sars zur schweren, global bedrohlichen Infektionskrankheit.

 

Doch trotz den teilweise düsteren Aussichten ist es wohl nicht hilfreich, gleich in eine Hysterie auszubrechen. So werden die zahlreichen irrealen Ängste im Zusammenhang mit Asienreisen der Sache nicht dienen. Immer wieder werden wir von Arbeitgebern angefragt, ob ihre aus den Ferien in Asien zurück-kehrenden Arbeitnehmer nun normal arbeiten dürfen. Chinesische Restaurants werden gemieden und die Reiseveranstalter mussten fast alle Reisen nach Südostasien und China streichen. Solche unbegründeten, hysterisch wirkenden Reaktionen haben kurzlebigen Charakter. Doch wenn die erste Serie von Sars-Verdachtsfällen einmal vorbei ist und die Medien ihr Interesse zurückziehen, dann besteht die Gefahr, dass wir wieder zum «business as usual» schreiten. Es gilt nun, die Bevölkerung ständig auf die Bedrohung aufmerksam zu machen, denn nur durch eine gezielte Information zur Früherkennung von Risikosituationen kann die Ausbreitung der neuen Infektionskrankheit vermieden werden.

 

Was können wir tun?

Wissenschafter aller Disziplinen arbeiten fieberhaft an der Entwicklung von Medikamenten, diagnostischen Tests und Impfstoffen zur Bekämpfung von Sars. Doch im Moment hat die Prävention von Sekundärinfektionen oberste Priorität. Heute ist das wichtigste Element zur Bekämpfung von Sars die Dissemination von Wissen. Wir müssen über die aktuellen Verbreitungsherde von Sars Bescheid wissen, müssen die Ansteckungswege, Inkubationszeit und klinischen Verlaufsformen von Sars kennen und vor allem: Wir müssen daran denken und unsere potentiellen Patienten informieren! Daher ist für die Bekämpfung von Sars die Kooperation zwischen Medizinern und Medien so wichtig.

 

Die ersten lokalen Sars-Ausbrüche in Hanoi, Toronto, Hongkong und Singapur betrafen immer medizinisches Personal in Spitälern. Diese Beobachtung liess vermuten, dass Sars nur von symptomatischen Personen übertragen wird. Tatsächlich hat sich diese Beobachtung auch in der Folge glücklicherweise bestätigt. Glücklicherweise deshalb, weil dadurch einfache Präventionsmassnahmen möglich werden. Es genügt, Isolationsmassnahmen dann einzuführen, wenn eine Person, die sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat, Fieber oder respiratorische Symptome entwickelt. Da die Inkubationszeit kaum je 10 Tage übersteigt, muss ein solcher Risikokontakt weniger als 10 Tage zurückliegen.

 

Liegt ein Sars-Verdacht vor, so muss die symptomatische Person sofort isoliert werden. Wir gehen davon aus, dass diese Isolationsmassnahmen zur Kontrolle der Epidemie in Hanoi, Shanghai und teilweise auch in Hongkong geführt haben. Doch sobald einmal weltweit viele Länder von Sars betroffen sind, können kleine Ausbrüche überall auftreten und die Definition von Verdachtsfällen wird immer schwieriger. Selbst in Singapur kann noch nicht entwarnt werden. Nach 20 Tagen ohne neuen Sars-Fall wurde am 18. Mai 2003 ein neuer Erkrankungsfall in dieser Metropole gemeldet.

 

Zusammengefasst können folgende Massnahmen heute empfohlen werden:

  • 1. Identifikation von Verdachtsfällen (Fieber und resp. Symptome nach Kontakt in Risikogebiet). Dazu ist die Kenntnis der Regionen nötig, wo aktuell Sars-Übertragungen dokumentiert werden. Diese Liste wird täglich von der WHO aktualisiert (http://www.who.int/csr/sars/areas/en/). Die Definition für Verdachtsfälle findet sich auf www.infekt.ch/show.php?artid=402.
  • 2. Personen mit Verdacht auf Sars müssen unverzüglich mit einem Arzt oder einem mit Sars-Fragen vertrauten Zentrum telefonisch Kontakt aufnehmen.
  • 3. Wirksame Isolationsmassnahmen sind das Tragen von feinporigen Schutzmasken (für Patient und Kontaktpersonen), Handschuhen und Brillen (Kontaktpersonen).
  • 4. Thorax-Röntgen zur Triage: Personen mit pneumonischem Infiltrat sollen in einem Zentrumsspital isoliert werden. Personen ohne Infiltrate können zu Hause isoliert werden.
  • 5. Tägliche Verlaufskontrollen der isolierten Personen und Versuch, eine alternative Diagnose zu erhärten (klinisch/mikrobiologisch).
  • 6. Eine Sars-Erkrankung kann heute nur serologisch im Rekonvaleszenzserum (Tag 21), also post-hoc, ausgeschlossen werden. Eine positive Diagnose durch direkten Erregernachweis mittels PCR gelingt lediglich in gut 50% der Fälle.

Erst eine Impfung bringt eine dauerhafte Lösung, doch dies dürfte dauern

Natürlich kann erst eine breit angewandte Impfung die Sars-Ausbreitung vollständig zum Stillstand bringen. Im Moment hört man in den Medien diesbezüglich optimistische Töne. Ich zweifle an der Seriosität dieser Prognosen. Viele Gründe sprechen gegen eine rasche Verfügbarkeit eines Impfstoffes:

  • Das Sars-Virus soll sich laut jüngsten Meldungen wenig verändern, was für eine Impfung günstig wäre. Doch Coronaviren sind RNA-Viren und bekannt für ihre grosse Mutationsfreude. Wir sind noch ganz am Anfang eines Speziessprunges auf den Menschen. Das Virus hatte noch kaum Zeit, seine Variabilität voll auszubauen. Um diese zu beobachten, braucht es noch etwas Zeit.
  • Impfstoffe gegen RNA-Viren (HCV, HIV) waren noch nie einfach herzustellen. Es ist nicht einzusehen, weshalb dies für Sars nun plötzlich anders sein sollte. Als 1994 das HI-Virus entdeckt wurde, hatte der Sprecher des NIAID auch angekündigt, dass wir in einem Jahr einen Impfstoff haben würden.
  • Um wirksam zu sein, müsste ein Sars-Impfstoff für grosse Bevölkerungskreise zur Verfügung stehen. Dies setzt eine gründliche Überprüfung der Sicherheit solcher Impfstoffe voraus. Selbst wenn eine Impfung machbar wäre, müsste diese über mehrere Jahre in klinischen Studien ausgetestet werden.
  • Noch ist nicht geklärt, ob eine Reinfektion bei Sars möglich ist. Aus Hongkong wurden einzelne Fälle mit Verdacht auf Reinfektion (nach Spitalentlassung) berichtet. Falls die Befürchtungen bestätigt werden, würde dies bedeuten, dass eine Sars-Infektion (und wohl auch eine Impfung) eine ungenügende Immunität zurücklässt.

Warten auf eine Therapie

In dieser Situation scheint es mir naheliegender, die Hoffnungen auf eine medikamentöse Therapie zu setzen. Zur Zeit werden Patienten in Hongkong mit Ribavirin (mit Steroiden) behandelt. Ribavirin ist ein Virostatikum mit sehr breitem Spektrum, das auch gegen andere Coronaviren in vitro wirkt. Die Wirksamkeit der Therapie ist noch unbekannt, Fall-Kontroll-Studien sind zur Zeit in Planung. Doch die Therapie kann – auch rechtzeitig eingesetzt – nicht in allen Fällen einen tödlichen Verlauf verhindern. Einzelne Experten warnen aufgrund pathologischer Befunde der Lungen vor einer potentiell schädlichen Wirkung der Steroidgabe.

 

Bessere therapeutische Modalitäten sind daher in Evaluation. Ein möglicher Weg geht über eine Proteinase des Coronavirus. Eine Gruppe aus Lübeck hatte früher schon mit Proteinasen von zwei anderen Coronaviren gearbeitet. Eines verursacht Diarrhoe bei Schweinen, ein anderes eine Erkältung beim Menschen. Gegen letzteres Virus hatten die Forscher bereits mit einem Protease-Hemmer experimentiert. Nun konnte mit dem Protease-Hemmer die Kristallstruktur der HCoV-Protease beschrieben werden. Mit Hilfe von Computermodellen sollte es nun möglich sein, perfekte Protease-Hemmer gegen Sars zu entwickeln. Doch die Suche geht auf allen Fronten weiter. Bereits wurden über 120’000 chemische Substanzen auf die Wirksamkeit auf Sars-Viren untersucht.

 

Aus Analogie zur Erfahrung mit HIV würde ich erwarten, dass eine medikamentöse Therapie früher zu erwarten ist als eine Impfung gegen HcoV. Doch bis eine wirksame Therapie zur Verfügung steht, dürften noch einige Jahre vergehen. Bis dahin werden wir die Epidemiologie von Sars mit grosser Aufmerksamkeit beobachten, unsere Diagnostik von Verdachtsfällen verbessern und die Isolationsmassnahmen konsequent einhalten müssen.

 

 

Bericht von PD Dr. Pietro Vernazza, Kantonsspital St. Gallen.

 

Weiterführende Links:
Medizinische Informationen (deutsch): http://www.infekt.ch/
WHO-homepage Sars: www.who.int/csr/sars/en

 



 
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