Therapie der Alzheimer-Demenz
Einleitung
Die Alzheimer-Demenz (AD) ist eine progrediente degenerative Hirnerkrankung, die zum Abbau von Gedächtnis und Orientierung und schliesslich zum Tod führt. Sie ist die häufigste Demenzform des höheren Lebensalters. Das wichtigste neuropathologische Merkmal der AD ist die Aggregation von Amyloid Beta-Peptiden zu abnorm gefalteten, neurotoxischen Fibrillen und Ablagerung in Form der sog. Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn. Aufgrund von selektiver Vulnerabilität im Alzheimergehirn steht die Degeneration cholinerger Neurone im Vordergrund. Das daraus resultierende cholinerge Defizit korreliert mit dem Schweregrad des dementiellen Syndroms und führte deshalb zur Entwicklung cholinerger Substanzen. Erkenntnisse über Mechanismen der Neurodegeneration durch exzitatorische Neurotransmitter wie z.B. Glutamat, führten zur Entwicklung von Glutamat-Rezeptor-Antagonisten. Diese Therapieansätze zeigen symptomatische und stabilisierende Effekte. Mit dem Ziel der Entwicklung einer ursächlichen Therapie wurde in den letzten Jahren intensiv an der Entschlüsselung der molekularen Mechanismen der Beta-Amyloid-Bildung und Aggregation gearbeitet. Entsprechend haben neue therapeutische Targets Eingang in die experimentelle und frühe klinische Forschung gefunden.
Acetylcholinesterasehemmer
Nach anfänglichen Rückschlägen mit Cholinpräkursoren, nicotinergen und muscarinergen Agonisten, zeigte die Substanzklasse der Acetylcholinesterasehemmer (AChEH) signifikante stabilisierende Effekte in den Bereichen Kognition, Alltagsaktivität, Verhalten und globales Funktionsniveau über einen Zeitraum von 3, 6 und 12 Monaten, belegt durch zahlreiche doppel-blinde, placebokontrollierte klinische Studien sowie durch offene Follow-Up-Studien an mehr als 10’000 Patienten mit leichter bis mittelgradiger AD weltweit.
Tacrin war die erste Substanz aus der Klasse der AChEH, die durch die US Food and Drug Administration (FDA) zugelassen wurde (1993). Der Gebrauch von Tacrin blieb jedoch begrenzt, vor allem aufgrund des Auftretens von asymptomatischen Erhöhungen von Leber-Enzymen bei ca. 25% der behandelten Patienten und aufgrund von einer relativ hohen Rate cholinerger Nebenwirkungen (vor allem Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe).
Die Weiterentwicklung führte zu den sogenannten Second-Generation-AChEH (Donepezil, Rivastigmin, Galantamin), die keine hepatische Toxizität und geringere cholinerge Nebenwirkungen aufwiesen, bei vergleichbarer Effektivität. Drei Substanzen haben sich im klinischen Gebrauch etabliert und weite Verbreitung gefunden: Donepezil (Aricept®; Zulassung Europa und USA 1996), Rivastigmin (Exelon@; Zulassung Europa 1998, USA 2000) und Galantamin (Reminyl®; Zulassung Europa 2000, USA 2001).
Effektstärke
Nach einer Metaanalyse von Giacobini (2000) erreichen die AChEH eine Effektstärke von bis zu ~3.6 points (ADAS-cog) im Vergleich zu Placebo bei Behandlungsstudien von 26-30 Wochen Dauer. Beobachtungszeiträume von bis zu 4 Jahren (open-label), legen verbesserte Alltagsfunktion, weniger Verhaltensstörungen, spätere Heimeinweisung und geringere Belastung der betreuenden Angehörigen nahe (Knapp et al. 1994; Wilcock et al. 1994; Knopman et al. 1996; Morris et al. 1998; Rogers et al. 1998; Rogers und Friedhoff 1998; Wimo et al. 1998; Truyen et al., 2004; Raskind et al., 2004). Bei Galantamin liegt zusätzlich zum Effekt auf die AChE eine allosterische Modulation am nicotinergen Rezeptor vor. Ein möglicher günstiger Einfluss auf den Langzeitverlauf wird derzeit in Studien mit einer Beobachtungsdauer von 3-4 Jahren untersucht. Neuere Ergebnisse weisen auf stabilisierende Langzeiteffekte hin (Kurz et al., 2003; Truyen et al., 2004; Raskind et al., 2004).
Responderrate
Die Responderraten liegen, definiert als Verbesserung beim ADAS-cog Ž 4 Punkte, zwischen 25% (low-dose Rivastigmin) und 60% (high-dose Tacrin, Donepezil, Galantamin) (Giacobini 2000). 5-10% der Patienten zeigten eine starke Response mit deutlichen kognitiven Effekten («responder-type») und Auswirkungen auf die Alltagskompetenz. Ca. 60% der Patienten zeigen eine Stabilisierung im Vergleich zu Placebo. Die prädiktiven Faktoren für die therapeutische Response sind dabei noch weitgehend unbekannt; der Anteil des cholinergen Defizits innerhalb des gesamten Neurotransmitter-Ungleichgewichtes mag eine Rolle spielen, ebenso wie das individuelle pharmakogenetische Profil der Patienten.
Verträglichkeit
Insgesamt zeigt die Gruppe der AChEH eine gute Verträglichkeit. Die meisten der dokumentierten Nebenwirkungen stehen im Zusammenhang mit dem cholinergen Wirkprofil der Substanzgruppe, sind dosisabhängig und zeigen Unterschiede zwischen den einzelnen Stoffen. Die Abbruchraten aufgrund von Nebenwirkungen waren am höchsten bei Tacrin (55%) (Knapp et al. 1994), deutlicher geringer (ca. 10-20%) bei den second generation AChEH Galantamin, Donepezil und Rivastigmin (Rösler et al. 1999; Raskind et al. 2000; Dooley und Lamb 2000). In der Regel waren die cholinergen Nebenwirkungen milde, transient und konnten durch eine vorsichtige Auftitrierung der Dosis reduziert werden. Die meisten Nebenwirkungen (> 5%) betreffen das gastrointestinale System (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Gewichtsabnahme), das ZNS (Unruhe, Schwindel, Schlafstörungen, Müdigkeit) und periphere Symptome wie z.B. Muskelschwäche oder Muskelkrämpfe (Giacobini 2000).
Dosierung
Die Therapie mit Galantamin wird begonnen mit 2 x 4 mg/Tag für 4 Wochen und anschliessender Erhöhung auf die Erhaltungsdosis von 2 x 8 mg/Tag. Eine weitere Erhöhung auf 2 x 12 mg/Tag ist bei guter Verträglichkeit möglich. Eine once-a-day Formulierung befindet sich in Entwicklung. Die empfohlene Initialdosis von Donepezil beträgt 5 mg/Tag und kann bei guter Verträglichkeit nach einem Monat auf 10 mg/Tag erhöht werden. Rivastigmin ist in Dosen von 1.5, 3, 4.5 und 6 mg erhältlich. Die Initialdosis beträgt 1.5 mg 2 mal täglich (3 mg/Tag) und kann bei guter Verträglichkeit nach jeweils 2 Wochen auf die nächst höhere Dosierung gesteigert werden (2 mal täglich 3 mg, 2 mal täglich 4.5 mg, maximal 2 mal täglich 6 mg).
Indikationserweiterungen
Es liegen Hinweise auf Stabilisierung von Gedächtnisleistungen, Verhalten und Alltagsaktivität bei Patienten mit fortgeschrittener AD, gemischter Demenz (AD und vaskulärer Demenz (VD), reiner VD und bei Patienten mit Lewy-Körper Demenz (Dementia with Lewy Bodies, DLB) vor. Entsprechend sind Anträge auf Indikationserweiterungen zu erwarten.
Glutamat-Rezeptor-Antagonisten
Anfang des Jahres wurde die Substanz Memantine (Ebixa®, Axura®) in der Schweiz zur Behandlung der Alzheimer-Demenz im fortgeschrittenem Stadium (BSV Limitatio: MMS 3 bis 14) zugelassen. Memantine ist ein Glutamat-Rezeptor-Antagonist und verbessert in zellulären Modellen für Neurodegeneration die neuronale Signalübertragung. Klinisch zeigte sich bislang eine Stabilisierung von kognitiven Funktionen und Verhalten bei Patienten mit schweren dementiellen Syndromen (Winblad and Poritis, 1999; Reisberg et al., 2003). Derzeit werden klinische Studien an Patienten mit leicht bis mittelgradiger Demenz durchgeführt.
Amyloid-senkende Therapiestrategien in der Forschung
Der zentrale Angriffspunkt für ursächliche Therapiestrategien stellen die Amyloid-Plaques, die Amyloid beta-Peptide und daraus resultierenden Protofibrillen, dar. Die experimentellen therapeutischen Strategien fokussieren derzeit auf die Verminderung der Produktion und der Aggregation von Abeta sowie auf die Stimulierung der Amyloid-Clearance aus dem Gehirn. Zu den Ansätzen gehören u.a. Modulation der alpha-, beta-, oder gamma-Sekretasen (siehe: Hardy and Selkoe, 2002), aktive und passive Immunisierung (Schenk et al., 1999; Hock et al., 2002; Schenk et al., 2002; Hock et al., 2003), beta-sheet breakers (Soto et al., 1998) und metal chelators (Cherny et al., 2001; Ritchie et al. 2003), u.a.m. Weitere Ansätze zielen auf eine Reduktion der Amyloidbildung über antiinflammatorische Effekte von NSAIDS (Weggen et al., 2001) und cholesterinsenkende Wirkung von Statinen (siehe: Golde and Eckman, 2001) ab.
Klinische Studien bei Alzheimer
Patienten und Angehörige mit Interesse an aktuellen klinischen Studien zur Therapie der Alzheimer-Krankheit können sich an folgende Adresse wenden: Prof. Dr. Christoph Hock, Chefarzt, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Forschungsambulatorium, Lenggstr. 31, 8029 Zürich, Tel.: 01 384 26 12, Fax: 01 384 26 86
Prof. Dr. med. Christoph Hock und Prof. Dr. med. Roger M. Nitsch, Abteilung für Psychiatrische Forschung, Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich
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