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Früh erkennen - früh behandeln: neue Chancen in der Psychiatrie

«Hätte man doch die Erkrankung früher erkannt ...» «Mein Sohn hätte die bestmögliche Behandlung früher gebraucht, nicht erst, als alles andere nicht gegriffen hatte.» «Hätte ich doch all diese Informationen und Behandlungsangebote früher gehabt, vielleicht wären die Beschwerden und Verunsicherungen vermeidbar gewesen.»

 

Diese Aussagen von Menschen mit einer Psychose und ihren Angehörigen sind uns allen geläufig. Bislang gültige Überzeugungen liessen Möglichkeiten zur Prävention übersehen. Inzwischen kam es zu einem Paradigmenwechsel in der Psychiatrie. Der Einfluss der soziokulturellen, psychologischen und biologischen Faktoren auf die Entstehung und den Verlauf von Psychosen rückte in das Zentrum der Beobachtungen.

 

Die Psychose

Damit wird eine psychische Erkrankung beschrieben, in der es zu einer Störung bzw. einem Verlust des Realitätsbezuges kommt. Sie ist charakterisiert durch das Auftreten von Wahnvorstellungen, Sinnestäuschungen und Denkstörungen. Neben diesen sogenannten Positivsymptomen können auch Negativsymptome auftreten. Dazu gehören Interessen- und Initiativverlust, Affektverarmung, Sprachverarmung und Aufmerksamkeitsstörungen. Wir gehen heute von einer multifaktoriellen Genese aus. Bei ca. 80% der Erkrankten tritt die erste Episode im Alter zwischen 16 und 30 Jahren auf. Jede Psychose führt zu grossem individuellem Leid, hohen, sozialen Einschränkungen und finanziellen Belastungen für die Gesellschaft.

 

Die ersten Symptome, die noch sehr unspezifisch und variabel sind, finden sich im Durchschnitt bereits mehrere Jahre vor der ersten stationären Aufnahme. Diese Phase wird auch Prodromalphase genannt. Es können Ängstlichkeit, Depressivität, Irritabilität oder Konzentrations- und Gedächtnisstörungen auftreten.

 

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass zwischen dem Auftreten erster Symptome und dem Behandlungsbeginn meist mehrere Jahre vergehen können. Das rechtzeitige Erkennen von Prodromalzeichen oder ersten Symptomen der Erkrankung ermöglicht eine frühe Behandlung, wodurch die Erkrankungsrate gesenkt werden kann, der Krankheitsverlauf verkürzt, die Symptomausprägung reduziert und Komplikationen vermieden werden können.

 

Die Symptome einer Psychose sind, nicht nur für die betroffene Person, sondern auch für Angehörige und Freunde beängstigend und irritierend. Ein früher Erkrankungsbeginn stört die Entwicklung der Identität und Unabhängigkeit massiv, führt zu Isolation, Beziehungsverlust und sozialen Defiziten.

 

Unbehandelte Psychosen sind mit langsamerer Erholung und bleibenden Defiziten verbunden. Es kommt zu häufigeren Krankheitsphasen und das Funktionsniveau nimmt ab.

 

Früherkennung

Anhand von Prodromalsymptomen und Risikofaktoren lässt sich auf das Psychoserisiko schliessen. Früherkennungsinventare sollen zur Vorhersage drohender Psychosen beitragen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit spielt bei der Früherkennung eine grosse Rolle. Ziel ist es, das Bewusstsein der Bevölkerung für die Erkrankung zu steigern und das Wissen über frühe/erste Krankheitszeichen zu vergrössern. Damit können Stigmatisierung und Angst vor psychischen Krankheiten in der Bevölkerung verringert werden. Da Hausärzte häufig die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Problemen sind, kommt ihnen bei der Früherkennung eine besondere Rolle zu.

 

Durch Früherkennung/Frühbehandlung verkürzt sich die Dauer einer unbehandelten Psychose (DUP = duration of untreated psychosis), wodurch Lebensqualität erhalten bzw. gesteigert werden kann.

 

In den letzten Jahren sind deshalb spezialisierte, ambulante und stationäre Zentren für die Früherkennung von Psychosen gegründet worden, die Beratung, Diagnostik und Behandlung anbieten. Wenn immer möglich wird der ambulante Ansatz favorisiert, damit junge Menschen in ihrer gewohnten Umgebung betreut werden können. Auch werden in manchen Städten Hausbesuche von «mobilen Teams» angeboten.

 

Untersuchungen

Die Diagnose der Psychose ist eine psychopathologische. Neben einer standardisierten neuropsychologischen Abklärung und neurophysiologischen Untersuchungen kommen speziell entwickelten Fragebögen sowie eine somatische Abklärung mit Blutuntersuchungen, bildgebenden Verfahren und EEG zum Einsatz. Anhand von Risikofaktoren lassen sich Hinweise auf das Psychoserisiko gewinnen, die eine frühe psychotherapeutische und/oder medikamentöse Behandlung rechtfertigen.

 

Therapie

Es stehen pharmakologische (v.a. niedrig dosierte «moderne» Antipsychotika) und psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten sowie computergestütztes Training der kognitiven Funktionen und nonverbale Therapien zur Verfügung. Stressbewältigungs- und Problemlösungskompetenzen werden trainiert. Eine Verbesserung der sozialen Kompetenzen wird angestrebt. Der Einbezug der Familie oder naher Freunde in die Therapie hat einen hohen Stellenwert.

 

Die Früherkennungsforschung kann die Frage nach der Genauigkeit der Voraussage einer Psychose noch nicht befriedigend beantworten. Durch neurobiologische Erkenntnisse entwickeln sich neue Perspektiven, welche die Vorhersage wesentlich präziser machen könnten. Die ethischen Implikationen dieser Erkenntnisse bieten Anlass zur Diskussion.

 

1996 wurde die International Early Psychosis Association (IEPA) gegründet. Drei Jahre später das Swiss Early Psychosis Project (SWEPP) – eine Tochterorganisation der IEPA. Ziel ist es, Interventions- und Forschungsstrategien für die Frühstadien schizophrener Psychosen zu entwickeln und die Kooperation zwischen psychiatrischen Institutionen und niedergelassenen Ärzten zu fördern. Hier findet auch die Koordination für regelmässige Weiterbildungsmöglichkeiten im Rahmen der frühen Interventions- und Präventionsarbeit statt (Weitere Informationen sind unter folgenden Adressen abrufbar: www.iepa.org.au sowie www.swepp.ch).

 

In der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich wird eine Spezialsprechstunde zur Früherfassung von Psychosen angeboten. Geplant ist eine Erweiterung des bisherigen ambulanten Angebotes durch eine Schwerpunktstation zur Früherkennung und Frühbehandlung von psychischen Krisen. Diese soll auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet sein, die erstmalig zu einer stationären Aufnahme kommen. Spezialisierte Untersuchungen, Behandlung und Pflege sollen so wenig wie möglich einschneidend wirken. Wie bei allen anderen Erkrankungen gilt auch hier, dass eine frühzeitige Erkennung, Beratung und unter Umständen auch eine frühzeitige Behandlung lohnt, um bereits bestehende Beschwerden zu reduzieren und eventuell weitere Auswirkungen zu vermeiden.

 

 

Dr. med. Anastasia Theodoridou, Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich

 



 
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