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Epileptische Anfälle und Epilepsien im Alter

Definitionen, Epidemiologie und Ätiologie

Epilepsien im Alter sind eine zunehmend an Bedeutung gewinnende Untergruppe der Spätepilepsien, also der sich erst im Erwachsenenalter manifestierenden Epilepsien. Als Epilepsien des höheren Lebensalter werden üblicherweise Epilepsien mit Erstmanifestation jenseits des 60. oder 65. Lebensjahres bezeichnet. Zur Unterscheidung von einer schon vorbestehenden Krankheit wird bei einer erstmals im höheren Lebensalter auftretenden Epilepsie von einer Altersepilepsie und bei einer seit vielen Jahren bestehenden Erkrankung von einer «gealterten Epilepsie » gesprochen. Heute ist das höhere Lebensalter der Altersabschnitt mit der am stärksten wachsenden Häufigkeit epileptischer Anfälle und Epilepsien (Krämer 1998).

 

Ätiologisch beruhen etwa 50% auf zerebralen Gefässprozessen, gefolgt von Hypoglykämien und anderen systemischen, metabolischen sowie toxischen Störungen (ca. 15%), Hirntumoren (10%), Schädel- Hirn-Traumen (5%), Demenz-Krankheiten (unter 5%) und Infektionen des ZNS (etwa 1%; Krämer 1998). Nach Hirninfarkten ist bei 10-15% mit einer Epilepsie zu rechnen. Grosse Mediainfarkte gehen mit dem höchsten Risiko einher; zusätzliche Risikofaktoren sind u.a. hämorrhagische Infarkte, eine Beteiligung der Hirnrinde sowie erhöhte Blutfette. Die früher im deutschsprachigen Raum als Präkursiv-Anfälle (bzw. -Epilepsie) bezeichneten, einem Hirninfarkt vorausgehenden «prämonitorischen» epileptischen Anfall, wurden kürzlich durch eine englische Studie bestätigt (Cleary et al 2004). Dies bedeutet, dass im höheren Lebensalter Hirninfarkte und erstmals auftretende epileptische Anfälle bzw. Epilepsien wechselseitige Risikofaktoren sind!

 

Klinik

Auch aufgrund der teilweise vieldeutigen Symptomatik von epileptischen Anfällen bei älteren Menschen, erfolgt im Vergleich zu jüngeren Menschen häufig eine verzögerte Diagnosestellung. Die Gründe dafür bestehen u.a. darin, dass generalisierte tonisch-klonische Anfälle (GTKA; Grand-mal-Anfälle) eher die Ausnahme sind. In einer kürzlich abgeschlossenen grossen nordamerikanischen, multizentrischen Therapiestudie (Rowan et al 2005) dominierten ganz eindeutig fokale Anfälle: Weitaus am häufigsten waren komplexe fokale Anfälle (mit Bewusstseinsstörung), die zusammen mit einfachen fokalen Anfällen (ohne Bewusstseinsstörung) und einer Kombination fokaler Anfälle etwa 60% aller Anfallsformen ausmachten. Zusätzlich traten bei etwa jedem achten Patienten sowohl fokale als auch generalisierte Anfälle auf. Zusätzlich sind epileptische Anfälle im Alter häufiger oligosymptomatisch und weniger eindrucksvoll als bei jüngeren Patienten.

 

Diagnostik

Die Standarddiagnostik von epileptischen Anfällen und Epilepsien im höheren Lebensalter besteht aus Anamnese, klinisch-neurologischem Status, Elektroenzephalogramm (EEG) und EKG, zerebraler Bildgebung sowie Labordiagnostik. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung sind objektivierbare klinische Befunde zur retrospektiven Diagnostik von Grand-mal-Anfällen, neben einem lateralen Zungenbiss, das sogenannte Forellenphänomen mit petechialen Hautblutungen im Gesicht, am Hals und an halsnahen Brustabschnitten sowie eine Toddsche Parese als Folge der Erschöpfung neuronaler Aktivität. Diese kann neben der Motorik auch sensible oder sensorische Funktionen wie Sprache oder Sehen betreffen. Enuresis und Enkopresis sind zwar typisch, aber weder häufig noch pathognomonisch. Beim psychischen Befund ist zu berücksichtigen, dass postiktale Störungen wie z.B. ein Verwirrtheitszustand über mehrere Tage oder sogar eine Woche anhalten können.

 

Beim EEG ist die Häufigkeit interiktaler epileptiformer EEG-Aktivität deutlich geringer. In Zweifelsfällen können Langzeitableitungen weiterhelfen, gelegentlich auch ein telemetrisches Videomonitoring. Bei jeder Erstmanifestation von epileptischen Anfällen und erst recht einer Epilepsie im Alter ist eine zerebrale Bildgebung indiziert. Dabei sollte in der Regel bereits primär eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt werden; bei begründeten Zweifelsfällen, wie Verdacht auf intrazerebrale Verkalkungen, kann sekundär gelegentlich eine ergänzende Computertomographie (CT) sinnvoll sein.

 

Alterstypische Komorbidität

Bezüglich der alterstypischen Komorbidität von epileptischen Anfällen und Epilepsien sind die bereits bezüglich der Ätiologie genannten Gefässprozesse, metabolischen und toxischen Störungen, Hirntumoren, Schädel-Hirn-Traumen und Demenzkrankheiten in Erinnerung zu rufen. Gesondert hervorgehoben sei hier die psychiatrische Komorbidität mit Depressionen oder Psychosen. Bei 30-50% der älteren Epilepsiepatienten ist eine behandlungsbedürftige Depression zu erwarten. Eine prokonvulsive Wirkung von Antidepressiva wird häufig überschätzt und ist einer der Gründe für eine unterbleibende Behandlung. Anfallskorrelierte psychotische Reaktionen können ebenfalls iktal, periiktal und interiktual auftreten, gelegentlich auch kontinuierlich als Folge einer Hirnschädigung oder als Medikamentenebenwirkung.

 

Therapie

Im höheren Lebensalter mit einer häufigen, bestehenden Komorbidität und Polytherapie sind Verträg lichkeitsaspekte bei der Auswahl des Antiepileptikums besonders wichtig (Arroyo und Krämer 1998). Die Auswahl des Antiepileptikums muss individuell unter Berücksichtigung von Komorbiditäten, Komedikationen und nicht zuletzt auch der Behandlungskosten getroffen werden. Die nach wie vor am häufigsten eingesetzten Antiepileptika sind Carbamazepin und Valproat. Dabei galt Carbamazepin bislang als «Goldstandard» für fokale und sekundär generalisierte Anfälle, während Valproat besonders bei primär generalisierten Anfällen der Vorzug gegeben wird. Eine initiale Monotherapie ist bei fehlendem Therapieerfolg bis an die individuelle Nebenwirkungsgrenze auf- und auszudosieren. Bei Bedarf erfolgt eine überlappende Umstellung auf eine weitere, alternative Monotherapie. Stellt sich auch darunter keine Anfallsfreiheit ein, sollte vor Beginn einer Kombinationstherapie nochmals überprüft werden, ob die Compliance ausreichend gegeben ist und ob eine bislang unerkannte progrediente Grunderkrankung vorliegt.

 

Erfreulicherweise liegen für einige der neuen Antiepileptika inzwischen kontrollierte Doppelblindstudien, speziell für das höhere Lebensalter, vor. Aussagekräftige Daten liegen jetzt für zwei der neuen Antiepileptika vor, nämlich für Lamotrigin (drei publizierte Studien, davon eine mit nachträglicher Subgruppenanalyse, sowie die nordamerikanische Vergleichsstudie [Brodie et al 1999, Nieto-Barrera et al 2001, Rowan et al 2005] ) und für Gabapentin (Rowan et al 2005).

 

Allein bezogen auf die Wirksamkeit haben Lamotrigin und Gabapentin sich bisher in keiner kontrollierten Studie als überlegen erwiesen. Schon in der ersten englischen Vergleichsstudie (Brodie et al 1999) zeigte sich aber ein drastischer Unterschied hinsichtlich klinischem Alltag, hinsichtlich des Parameters «Therapie- Weiterführung» der sich aus der Summe von Wirksamkeit und Verträglichkeit ergibt. Ein halbes Jahr nach Behandlungsbeginn führten noch rund 70% der Lamotrigingruppe, aber nur noch etwa 40% der Carbamazepingruppe die Behandlung damit fort, während sie bei den anderen ganz überwiegend aus Verträglichkeitsgründen vorzeitig beendet bzw. umgestellt worden war.

 

Dass es sich bei diesem Ergebnis um einen validen Befund handelt, zeigte die nachträgliche Subgruppenanalyse einer europäischen Vergleichsstudie von Lamotrigin und Carbamazepin. Auch hier hatten sich schon für jüngere Erwachsene deutliche Verträglichkeitsvorteile von Lamotrigin gezeigt, die im höheren Lebensalter besonders deutlich waren (Nieto-Barrera et al 2001). Wie in der ersten Studie wurde eine Lamotriginbehandlung nach etwa einem halben Jahr bei circa 70% fortgeführt, eine Carbamazepinbehandlung aber nur bei etwa 40%. Bei der bislang aussagekräftigsten Studie zur Behandlung der Epilepsie im höheren Lebensalter mit einem doppelblinden Vergleich von Lamotrigin und Gabapentin mit Carbamazepin, handelt es sich um eine an amerikanischen Veterans-Administration-( VA)-Spitälern durchgeführte Studie. Eingeschlossen wurden fast 600 vorwiegend männliche Patienten mit einem Durchschnittsalter von über 70 Jahren (Rowan et al 2005). Die Tageszieldosen von 600 mg für Carbamazepin, 1’500 mg für Gabapentin und 150 mg für Lamotrigin wurden sowohl nach drei als auch nach zwölf Monaten ziemlich exakt eingehalten. Lediglich bei Gabapentin ergab sich nach einem Jahr ein leichter Trend zur Dosissteigerung.

 

Das Ergebnis der Studie bestätigt für Lamotrigin in eindrucksvoller Weise die Befunde der bereits referierten früheren Untersuchungen und konnte erstmals auch für Gabapentin einen Vorteil gegenüber Carbamazepin nachweisen (beide sind statistisch hoch signifikant mit p-Werten < 0.001). Betrachtet man für Lamotrigin und Gabapentin zum Vergleich mit den früheren Studien das Ergebnis nach einem halben Jahr, ist die Fortführungsrate mit etwa 70% für Lamotrigin und 40-50% für Carbamazepin praktisch identisch mit dem der beiden ersten Studien (Brodie et al 1999, Nieto-Barrera et al 2001).

 

Von den neuen Antiepileptika haben – unabhängig vom Lebensalter – bislang nur Gabapentin, Lamotrigin, Oxcarbazepin und Topiramat eine Monotherapiezulassung. Während Oxcarbazepin wegen der im höheren Lebensalter gehäuften Inzidenz schwerer symptomatischer Hyponatriämien zurückhaltend zu bewerten ist und ebenso wie für Topiramat noch keine aussagekräftigen Studien vorliegen, haben Lamotrigin und in einer Studie auch Gabapentin sich gegenüber der bisherigen Standardtherapie mit Carbamazepin als eindeutig überlegen erwiesen. Die entsprechenden Unterschiede sind nicht nur statistisch signifikant, sondern auch klinisch relevant.

 

Über die in den Studien untersuchten Kurzzeitverträglichkeitsvorteile dieser beiden neuen Antiepileptika sind weitere potenzielle Vorteile wie die fehlende hepatische Enzyminduktion hervorzuheben, die insbesondere zu einem geringeren Risiko medikamentöser Interaktionen führt. Ein grosser Vorteil besteht aus klinischer Sicht in der praktisch fehlenden Sedierung. Immer wieder berichten ältere Epilepsiepatienten nach einer erfolgreichen Umstellung über eine erhöhte Vigilanz und vermehrte Aktivität. Beim Lamotrigin trägt dazu auch die inzwischen ebenfalls eindeutig belegte antidepressive Wirkung bei. Die Notwendigkeit einer langsamen Ein- und Aufdosierung von Lamotrigin über mehrere Wochen kann eine vorübergehende zusätzliche antiepilepti sche Abschirmung erforderlich machen, die beispielsweise mit Clobazam oder auch Levetiracetam erfolgen kann.

 

Die hier dargestellten Ergebnisse der einzigen bislang vorliegenden kontrollierten Studien zur antiepileptischen Therapie im höheren Lebensalter bedeuten nicht, dass eine Behandlung von Epilepsien im höheren Lebensalter mit Carbamazepin oder Valproat (das bedauerlicherweise bislang bei Vergleichsuntersuchungen mit neuen Antiepileptika nicht berücksichtig wurde) als obsolet oder gar Kunstfehler anzusehen wäre. Es ist eine nach wie vor vertretbare Strategie, auch aus ökonomischen Gründen, in der Regel zunächst mit diesen bewährten Antiepileptika zu beginnen. In Abhängigkeit von individuellen Besonderheiten der Betroffenen oder aber bei auftretenden Verträglichkeitsproblemen, sollte der Einsatz von Lamotrigin oder Gabapentin geprüft werden. In wieweit sich in Zukunft noch weitere neue Antiepileptika, wie zum Beispiel Levetiracetam oder auch Topiramat dazugesellen, hängt vom Ergebnis der zu dieser Bewertung erforderlichen und teilweise bereits initiierten kontrollierten Studien ab. Dr. med. Günter Krämer, Medizinischer Direktor, Schweizerisches Epilepsie- Zentrum, Zürich

 

Weiterführende Literatur

• Arroyo S, Krämer G (2001) Treating epilepsy in the elderly: safety considerations. Drug Safety 2001; 24: 991-1015

• Brodie MJ, Overstall PW, Giorgi L, The UK Lamotrigine Elderly Study Group (1999). Multicentre, double-blind, randomised comparison between lamotrigine and carbamazepine in elderly patients with newly diagnosed epilepsy. Epilepsy Res 1999; 37: 81-87

• Cleary P, Shorvon S, Tallis R (2004) Late-onset seizures as a predictor of subsequent stroke. Lancet 363: 1184-1186

• Krämer G (1998) Epilepsien im höheren Lebensalter. Klinik und Besonderheiten der Pharmakotherapie. Thieme, Stuttgart – New York

• Nieto-Barrera M, Brozmanova M, Capovilla G et al (Lamictal vs. Carbamazepine Study Group) (2001) A comparison of monotherapy with lamotrigine or carbamazepine in patients with newly diagnosed partial epilepsy. A comparison of monotherapy with lamotrigine or carbamazepine in patients with newly diagnosed partial epilepsy. Epilepsy Res 46: 145-155

• Rowan AJ, Ramsay RE, Collins JF, Pryor F, Boardman KD, Uthman BM, Spitz M, Frederick T, Towne A, Carter GS, Marks W, Felicetta J, Tomyanovich ML; VA Cooperative Study 428 Group (2005). New onset geriatric epilepsy: a randomized study of gabapentin, lamotrigine, and carbamazepine. Neurology 64: 1868-1873



 
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