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Demenzbehandlung: Erfahrungen aus der Praxis

Modernes Altern in der industrialisierten Gesellschaft

In den letzten Jahren ist das Interesse für das Thema Demenz sowohl in wissenschaftlichen als auch öffentlichen Kreisen angestiegen. Demenz ist primär ein Merkmal der industrialisierten Gesellschaft. Die Zunahme der hochaltrigen Bevölkerung wird in den nächsten Jahren zu einer Verdoppelung der Erkrankungszahlen führen. Nach Schätzung des Bundesamtes für Statistik werden im Jahr 2025 etwa 35% der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein. Das Alter stellt den wichtigsten Risikofaktor für die Demenzerkrankung dar. Die Annahme, Altern gehe generell mit einer Verschlechterung der Gedächtnisfunktionen – im Sinne einer Demenz – einher, ist aber falsch. Bis zum Alter von 65 Jahren liegt das Erkrankungsrisiko unter 1%. Mit 70 Jahren liegt es unter 3% und mit 75 Jahren bei etwa 5%. Oberhalb von 75 Jahren steigt es steil an und wird zwischen dem 90. und 95. Lebensjahr ein Maximum der Inzidenz erreichen (50%).

 

Gemäss einer quantitativen Studie der Schweizerischen Alzheimervereinigung die im Jahre 2004 durchgeführt wurde, waren zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz rund 90’000 Menschen von einer dementiellen Hirnkrankheit betroffen. Aufgrund dieser Studie wird davon ausgegangen, dass jedes Jahr ungefähr 21’000 Neuerkrankungen hinzukommen.

 

Die Bedeutung der Früherkennung

Die Demenz sollte möglichst früh diagnostiziert werden, damit zielgerichtete Interventionen den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können. Die klinischen Erfahrungen haben gezeigt, dass der frühe Einsatz von Antidementiva und die Beratung von Angehörigen notwendig sind, um den Krankheisverlauf günstig zu beeinflussen.

 

Der heutige Wissensstand über die Demenz lässt ein früheres Erkennen der Erkrankung zu. Der Hausarzt kann die kognitiven Fähigkeiten mittels einfachen Tests (MMS, Uhrentest, GDS) evaluieren. Besteht der Verdacht «Demenzerkrankung», sollte unbedingt eine präzise Diagnose in einer Memoryklinik erfolgen.

 

Warum ist eine Demenzabklärung in einer Memoryklinik notwendig? Die Untersuchungen in der Memoryklinik beinhalten nicht nur breite klinische und neuropsychologische Abklärungen, sondern ermöglichen auch, den Schweregrad der Erkrankung und die Qualität der übrigen psychischen Funktionen und verbliebenen Sozialkompetenz zu eruieren. Die auto- und heteroanamnestisch erfassten Informationen über einfache und komplexe Alltagsaktivitäten (ADL, IADL) mit ausführlichem neuropsychologischen Inventar (NPI), ermöglichen einen gesamten Überblick über das soziale Umfeld und die individuell vorhandenen Ressourcen und Defizite des Betroffenen. Diese Informationen sind die Grundlage für die Einleitung weiterer milieutherapeutischer und psychosozialer Massnahmen.

 

Eine ambulante Demenzabklärung erfordert die interdisziplinäre Arbeit von Neuropsychologen, Fachärzten der Psychiatrie und Neurologie als auch der Pflegefachpersonen. Gemeinsam wird die optimale medizinische, milieutherapeutische und psychosoziale Therapieempfehlungen erarbeitet. Die Entlastung und Unterstützung von Betroffenen und Angehörigen muss individuell abgesprochen werden.

 

Oft ist die Demenz von weiteren Symptomen begleitet wie z.B. Veränderung der Stimmung, Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus, Depression, Angst, Unruhe, Aggressivität und sogar Wahnvorstellungen. Verlust des Selbstwertgefühls und Resignation können die Folge sein. Das soziale Umfeld ist auf Grund ständiger Fehlleistungen oder schwerer Verhaltensauffälligkeiten massiven Überforderungen ausgesetzt, darauf folgt häufig eine Klinikeinweisung. Diese dramatischen Entwicklungen könnten durch eine frühe Erkennung und sachgerechte Beratung vermieden werden.

 

Behandlungsmöglichkeiten bei Demenzen

Leider stehen zur Zeit keine kurativen Medikamente zur Verfügung. Die aktuell eingesetzten Medikamente tragen jedoch zur Milderung der Symptome und zu einer Verlangsamung des Krankheitsverlaufes bei.

 

Der Therapieversuch mit Antidementiva ist immer angezeigt. Bei einer beginnenden oder mittelschweren Demenz sollten Cholinesterasehemmer eingesetzt werden. Im klinischen Alltag haben sich Donepezil (Aricept®), Rivastigmin (Exelon®) und Galantamin (Remynil®) bewährt. Falls eine leichte Verschlechterung des Eingangtests nach sechs Monaten Therapie eintritt, hat sich die zusätzliche Gabe von einem zweiten Antidementivum sehr bewährt.

 

Bei der vaskulären Demenz sollten zuerst die vaskulären Risikofaktoren optimiert werden. Die Verabreichung einer Thrombocytenaggregationshemmung oder einer Antikoagualtionstherapie ist bei vaskulärer Demenz indiziert. Neuere Studien wiesen nach, dass die Gabe von Acetylcholinesterasehemmern nützlich sein kann.

 

Die Abgrenzung einer vaskulären Demenz von einer Alzheimerdemenz ist nicht einfach. Häufig liegt eine gemischte Demenzform vor. Dann ist die Indikation für einen Acetylcholinestherasehemmer gegeben.

 

Bei mittelschwerer und schwerer Demenz sollte eine Behandlung mit Memantin (Axura®, Ebixa®) erfolgen. Auch die Kombination von Aricept® und Ebixa®/Axura® bewährt sich. Diesbezüglich liegen bereits entsprechende Studien vor. Leider werden die Kosten von beiden Präparaten in der Schweiz nur durch die Zusatzversicherung übernommen.

 

Die Verhaltensstörungen können durch moderne Psychopharmaka erfolgreich beeinflusst werden. Die Nebenwirkungen sind gering. Medizinische und psychosoziale Massnahmen ermöglichen eine längere Selbständigkeit des demenzkranken Menschen im Alltag, verbessern seine Lebensqualität, verringern die Belastung von seinen Angehörigen/Betreuern und verzögern den Eintritt ins Altersheim.

 

Sollen der Patient und dessen Angehörige aufgeklärt werden?

Die Eröffnung der Diagnose Demenz ist für die Kranken und ihre Familie ein schwerer, schicksalhafter Moment. Das Verschweigen der Diagnose, eine fehlende Abklärung, führt meistens zur Enttäuschung der Angehörigen bezüglich professioneller Hilfe. Jeder hat das Recht, Informationen über seine Gesundheit zu bekommen. Je nach dem kann entschieden werden, ob weiter aufgeklärt werden will oder ob Stillschweigen über die Krankheit herrschen soll. Demenz verursacht tief greifende Veränderungen der Person, welche sich auch auf sein Umfeld auswirkt und zu einer enormen Belastung allen Betroffenen wird. Individuelle Reaktionen auf beginnende kognitive Störungen sind verschieden. Einige Erkrankte realisieren ihre Gedächtnisdefizite nicht, andere schon sehr früh, dritte versuchen die Defizite zu verdrängen oder zu überspielen. Die Krankheit löst bei Betroffenen und Angehörigen oft Hilflosigkeit, Zweifel, Vorwürfe, Missverständnisse, Spannungen und Schuldgefühle aus. Den Beteiligten wird ausserdem über längere Zeit gar nicht bewusst, dass das veränderte und schwer nachvollziehbare Verhalten des Betroffenen Ausdruck einer behandlungsbedürftigen Krankheit ist. Kennt der Erkrankte seine Diagnose Demenz, kann er wichtige finanzielle Entscheidungen rechtzeitig treffen oder planen.

 

Die Rolle des Hausarztes

Für demente Patienten ist ein Geflecht von Betreuungspersonen und Institutionen notwendig, um eine erfolgreiche Betreuung zu gewährleisten. Der Hausarzt, Angehörige und Bezugspersonen spielen dabei eine zentrale Rolle. Wertvolle Behandlungszeit geht verloren, wenn die Diagnose nicht rechtzeitig gestellt wird. Dem Hausarzt kommt eine koordinierende Funktion im Therapiesystem zu. Er behandelt den Patienten in seinem sozialen Umfeld und kann durch den Einbezug von Spitex, Alzheimerverein und anderen Hilfsorganisationen, die Pflegelast für die Familienangehörigen verringern.

 

Geht es zu Hause nicht mehr und reichen die Versorgungssysteme in der gewohnten häuslichen Umgebung nicht mehr aus, stehen störungsspezifische Stationen zur Verfügung. Diese sind vor allem auf die Behandlung von Störungsbildern spezialisiert.

 

Lohnt es sich noch?

Diese Frage wird oft im Zusammenhang mit Alterskrankheiten gestellt, insbesondere heute, wenn von einer Rationierung medizinischer Leistungen die Rede ist. Vor allem in Bezug auf die Behandlung der Alzheimerpatienten wird die Meinung vertreten, man solle doch die Betroffenen möglichst rasch sterben lassen.

 

Das Alter darf jedoch kein Grund für Diskriminierung sein. Es gibt keine Hinweise, dass durch Azetylcholinesterasehemmer das Leben der Demenzpatienten verlängert wird. Der Zustand (Lebensqualität) wird jedoch verbessert. Das Absetzen des Medikaments führt meistens zu einer raschen Verschlechterung des Zustandes; nach Wiederaufnahme der Behandlung wird das Ausgangsniveau wieder erreicht. Aus klinischer Erfahrung ist bekannt, dass sobald es dem Kranken besser geht (Ansprechen auf medikamentöse Therapie), auch die Pflege besser toleriert wird.

 

Alte Menschen brauchen, genauso wie jüngere, eine sorgfältige Diagnostik und gewissenhafte Betreuung und Therapie. In Zeiten knapper finanzieller Ressourcen besteht die Gefahr der Vernachlässigung einer immer grösser werdenden Bevölkerungsgruppe. Durch eine rechtzeitige Beanspruchung der bestehenden Angebote kann dieser Gefahr wirksam begegnet werden.

Auch heute noch wird nur jeder dritte Demenzkranke erkannt und abgeklärt. Ein solcher Anteil wäre für andere Krankheiten unvorstellbar. Ohne Diagnose müssen Kranke und ihre Angehörigen mit den Krankheitssymptomen leben, ohne zu wissen worum es sich handelt. Dies bewirkt oft, dass weder Betroffene noch Angehörige von Unterstützungsangeboten Gebrauch machen können. Eine frühe Diagnose sichert auch bei fortschreitender Demenz eine optimale medizinische Behandlung. Der Eintritt in ein Heim und damit verbundene Kosten können hinausgeschoben, um Hilfs- und Entlastungsangebote für die Angehörigen frühzeitig angefragt werden.

 

 

Ein Teil des Textes ist aus dem Qualitätsstandard der Projektgruppe Demenz der Klinik Littenheid (Arbeitsgruppe Frau Kohler Neuropsychologin,
Dr. Schuhmann OA, Dr. Mayer OA, Herr Scheer BLP, Dr. Vrgoc-Mirkovic LA) übernommen.

 

Dr. med. Jokica Vrgoc-Mirkovic, Leitende Ärztin Gerontopsychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Littenheid



 
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