Das kolorektale Karzinom: die Sicht des Gastroenterologen
Epidemiologie
In der Schweiz ist das kolorektale Karzinom (KRK) mit einer Inzidenz von 68 pro 100’000 das zweithäufigste Malignom hinter dem Mammakarzinom bei Frauen und das dritthäufigste Malignom hinter Prostata und Lungenkarzinom bei Männern. Aufgrund von Daten der Schweizerischen Krebsregister wird geschätzt, dass rund 3’500 Personen jährlich von der Krankheit betroffen werden. In den allermeisten Fällen erkranken Personen über 50 Jahre an dem KRK, wobei nach diesem Alter die Inzidenz steil exponentiell zunimmt (siehe Abbildung 1). Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen und entwickeln die Krankheit in etwas jüngerem Alter.
Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit, 5 Jahre nach der Diagnosestellung zu überleben, beträgt 50% und ist somit besser als diejenige beim Lungenkarzinom, aber deutlich schlechter als die Überlebenschance beim Prostata- oder Mammakarzinom. Diese Zahl variiert stark je nach Krankheitsstadium. Sie beträgt 90% im Stadium I und sinkt auf 75%, 45% und 7% in den Stadien II, III und IV. Nur ungefähr 40% der Diagnosen werden allerdings in den ersten zwei Stadien gestellt, zu einem Zeitpunkt zu dem die Krankheit noch lokal begrenzt ist.
Risikofaktoren
Verglichen mit der allgemeinen Bevölkerung haben Patienten mit den genetischen Syndromen Familial Adenomatous Polyposis (FAP) und Hereditary Nonpolyposis Colorectal Cancer (HNPCC) ein stark erhöhtes Risiko, bis 100%, ein KRK zu entwickeln. Die Krankheit kann bei beiden Krankheiten auch in sehr jungem Alter auftreten. Patienten, die seit längerer Zeit an einer ausgedehnten entzündlichen Darmerkrankung wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn leiden (meistens mehr als 10 Jahre), sind ebenfalls häufiger betroffen und gehören zu den Hochrisikopatienten. Das Auftreten von sporadischen KRK bei Familienangehörigen wie auch eine persönliche Anamnese von kolorektalen Polypen oder von einem KRK stellt ein Risiko für die Entwicklung eines KRK dar. Patientinnen mit einer Anamnese von Endometrium-, Ovarial- oder Mammakarzinomen sind einer erhöhten Wahrscheinlichkeit an einem KRK zu erkranken ausgesetzt.
Die vorhandene Datenlage weist auf eine ungünstige Assoziation zwischen einer Diät reich an tierischen Fetten und der Entstehung eines KRK hin. Die protektive Rolle einer faserreichen Diät ist hingegen nur mit widersprüchlicher Evidenz belegt und konnte durch eine grosse randomisierte Studie nicht bestätigt werden. Ebenfalls protektiv scheint die physische Aktivität zu sein, während die positive Korrelation von Übergewicht und Entstehung eines KRK wahrscheinlich ein Surrogatparameter für Diät und körperliche Betätigung darstellt. Eine schwache Risikozunahme wurde auch für Alkoholkonsum und Rauchen gefunden, wobei die letztere hauptsächlich das Rektumkarzinom betrifft. Die protektive Wirkung von Kalziumzusatz und Aspirineinnahme auf die Rekurrenz von adenomatösen Polypen wird durch eine überzeugende Evidenzlage unterstützt. Eine Regression der intestinalen Adenomen durch Sulindac und Celecoxib konnte hingegen bisher nur bei FAP-Patienten gezeigt werden.
Diagnose
Die Diagnose eines KRK wurde früher ausschliesslich bei Vorhandensein sogenannter Alarmsymptome oder bei manifester Krankheit angestrengt. Als Alarmsymptome wahrzunehmen sind neu aufgetretene Änderungen der Stuhlgewohnheiten, ein relevanter Gewichtsverlust sowie Blutabgang ab ano, und eine unklare Eisenmangelanämie. Die Untersuchung der Wahl ist in diesen Fällen die Kolonoskopie. Heutzutage erfolgt ein Teil der Diagnosen durch Surveillance (Überwachung) und Screening.
Surveillance
Es ist akzeptiert, dass Hochrisikopatienten streng endoskopisch überwacht werden sollten, um die Entwicklung von adenomatösen Polypen bzw. eines KRK rechtzeitig zu erfassen. Die Überwachung sollte bei FAB-Patienten im Alter von 10-12 Jahren und bei HNPCC-Patienten im Alter von 20-25 Jahren oder 10 Jahre früher als das früheste familiäre Auftreten eines KRK initiiert werden. Bei den entzündlichen Darmerkrankungen sollte mit den endoskopischen Kontrollen 8-10 Jahre nach Ausbrechen der Krankheit begonnen werden. Die Empfehlungen der Amerikanischen Gesellschaft für Gastroenterologie betreffend familiärer Belastung mit adenomatösen Polypen und mit einem KRK sind in der Tabelle dargestellt. Selbstverständlich sollten auch Patienten mit einer persönlichen Anamnese von adenomatösen Polypen oder eines KRK regelmässig endoskopisch nachkontrolliert werden. Die entsprechenden Empfehlungen der Fachgesellschaft der Schweizerischen Gastroenterologen können von der Internetseite (www.fagas.ch/dt/medinfo/index.asp) heruntergeladen werden.
Screening
Das KRK eignet sich wegen seiner Häufigkeit und aufgrund dessen Entstehung aus langsam wachsenden, leicht erkennbaren und entfernbaren adenomatösen Polypen besonders gut für ein Screening. Mehrere wirksame Methoden stehen zu diesem Zweck zur Verfügung. Die anerkannten und empfohlenen Screeningstrategien sind der jährliche Bluttest im Stuhl (Hämoccult-Test), die flexible Sigmoidoskopie alle 5 Jahre, die Kombination der beiden oder die Kolonoskopie alle 10 Jahre. Direkt oder indirekt konnte für alle diese Methoden gezeigt werden, dass sie das Auftreten bzw. die Mortalität von KRK reduzieren. Aber je effektiver die Methode, desto invasiver und teurer ist sie.
Abbildung 2: Empfehlungen bei Frauen mit positiver Familienanamnese
Der Hämoccult-Test ist wegen seiner Einfachheit und Ungefährlichkeit beliebt. Dabei wird vergessen, dass die dreifachen Stuhlproben unter Diätvorschriften gewonnen und anschliessend eingeschickt werden müssen, damit sich eine Fachperson mit deren Beurteilung beschäftigen kann. Abklärungsuntersuchungen und Testwiederholungen in jährlichen Abständen müssen organisiert werden. Amerikanische Daten zeigen, dass weniger als 50% der positiven Tests mittels Kolonoskopie abgeklärt werden. Für diesen Aufwand ist die Sensitivität des Tests (unter 30%) für fortgeschrittene Adenomen relativ tief. Andererseits testen die meisten Patienten mit Adenomen oder KRK negativ und bekommen ein falsches Sicherheitsgefühl, welches zu einer potentiell verzögerten Diagnoseverschiebung führen kann.
Die Sigmoidoskopie sollte nach Empfehlung im 5-Jahres-Rhythmus wiederholt werden. Die Vorbereitung erfolgt mittels Einlauf. Die Untersuchung, die beim wachen Patienten erfolgt, ist teilweise mit leichten Schmerzen und Discomfort assoziiert. Da fortgeschrittene Adenome gleichzeitig im distalen und im proximalen Kolon gefunden werden können, führt eine konsequente Abklärung des ganzen Kolons bei distalen Befunden nur in 70% bis 80% der fortgeschrittenen kolorektalen Adenome zur korrekten Diagnose.
Die Kolonoskopie ist nur wenig teuerer als die Sigmoidoskopie, stellt aber die zuverlässigste Methode dar. Die Darmvorbereitung ist langwierig, muss aber nur alle 10 Jahre durchgeführt werden. Das Potential für Komplikationen (Perforationen) ist etwas höher als bei der Sigmoidoskopie, liegt aber deutlich unter 1 pro 1’000 Untersuchungen. Signifikante Blutungen entstehen praktisch nur bei der Polypektomie. Kardiorespiratorische Komplikationen sind ebenfalls selten und vor allem mit der Sedation assoziiert. Diese wird im schweizerischen Screeningkontext von etwa 30% der Patienten verlangt. Bezüglich Discomfort bei der Untersuchung berichten Patienten, dass sie die Kolonoskopie der Sigmoidoskopie eher vorziehen. Dieses Ergebnis mag durch den Effekt der Sedation zustande kommen.
Die Wahl der Methode bleibt trotz unterschiedlichen Charakteristiken zur Zeit offen. Formell sollten sich Entscheidungen zwischen kompetitiven Gesundheitsinterventionen auf Kosten-Wirksamkeits-Analysen abstützen. Entsprechende Analysen sind für die Schweiz noch nicht vorhanden. Publikationen aus den Vereinigten Staaten zeigen je nach Modellannahmen widersprüchliche Resultate. Die Studie, die am meisten den Schweizerischen Kontext reflektiert, zeigt allerdings einen Vorteil zugunsten der Kolonoskopie.
Überlegungen in Bezug auf Gesamtkosten und infrastrukturelle Machbarkeit sind ebenfalls wichtige Bestandteile des Entscheidungsprozesses. Diese hängen primär von der Partizipation der Bevölkerung an den Screeningmassnahmen ab. Wiederum müssen wir mehr wissen über die Faktoren, welche ein Individuum zum Screening motiviert und die Screeningart bestimmt. Patientenwissen und die Überzeugung der betreuenden Ärzte scheinen hier eine zentrale Rolle zu spielen. Interessant sind die Erkenntnisse aus einer amerikanischen Studie zu den Testeigenschaften einer Screeningmethode: Während Hausärzte glauben, dass für den Patienten der Discomfort entscheidend ist, ist für mehr als die Hälfte der Patienten die Testzuverlässigkeit entscheidend.
Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern werden in der Schweiz die endoskopischen Screeningmethoden von den Krankenkassen vorläufig nicht übernommen. Die Resultate einer grossen Schweizerischen populations-basierten Studie mit über 2’700 Patienten stehen vor der Tür. Es ist unsere Hoffnung, dass diese Resultate in den politischen Entscheidungsprozess in Bezug auf Screening für das KRK integriert werden.
PD Dr. med. Fabiola Delcò, Oberärztin, Abteilung Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Basel.
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