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Thrombozytenaggregationshemmer und Hirnschlag -

Monotherapie, Kombination oder doch Antikoagulation?

Einleitung

Zerebrovaskuläre Erkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen in industrialisierten Ländern. Nur Herz- und Tumorerkrankungen stellen eine häufigere Todesursache dar. Pro Jahr ist in der Schweiz mit 12’500 bis 14’000 Neuerkrankungen zu rechnen. Zerebrovaskuläre Erkrankungen sind die häufigsten Verursacher der im Erwachsenenalter erworbenen Behinderungen. Ungefähr ein Drittel der Betroffenen weist eine für den Alltag bleibende, behindernde Störung auf [1].

Primärprävention

Verschiedene vaskuläre Risikofaktoren werden für die Genese des Hirnschlags verantwortlich gemacht: Geschlecht (bis 80-jährig sind Männer häufiger betroffen als Frauen), ethnische Zugehörigkeit, Alter oder eine positive Familienanamnese sind nicht beeinflussbare Risikofaktoren.

Als beeinflussbare Risikofaktoren sind zu nennen: Diabetes mellitus, Nikotinkonsum, Alkoholabusus, Karotiserkrankungen, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Herzerkrankungen, Hypertonie und Vorhofflimmern.

Bei jüngeren Menschen bewirken hohe Serumcholesterinwerte eine Karotisatheromatose und erhöhen das Risiko einen Hirnschlag zu erleiden.

Bei Älteren korreliert das tiefe Cholesterin mit einem höheren Hirnblutungsrisiko.

Bei der Risikoevaluation für das Individuum in der ärztlichen Praxis sind deshalb die folgenden Angaben und Befunde entscheidend:

  • Familienanamnese
  • frühere transitorische ischämische Attacken (TIA) oder Hirnschläge
  • Lebensgewohnheiten
  • Hypertonie, Körpergewicht, Blutfette
  • Hinweise auf Herzerkrankungen oder Karotiserkrankungen.

Die frühzeitige Erkennung und gezielte Behandlung der genannten Erkrankungen und Risikofaktoren spielt eine wesentliche Rolle in der Hirnschlagprävention. Im Vordergrund stehen die rigorose Behandlung von Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie und Herzkrankheiten. Die Blutdrucksenkung bei isolierter systolischer Hypertonie bei über 60-jährigen Hypertonikern geht mit einer 36%-Reduktion eines Hirnschlagrisikos einher [2].

 

Jedem Individuum ist zu empfehlen, auf Nikotin zu verzichten, den Alkoholkonsum zu beschränken, der Adipositas vorzubeugen und auf ausgewogene Ernährung zu achten.

Die regelmässige Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern (Acetylsalicylsäure, ASS) und deren Einfluss auf das Risiko wurde in zwei grossen kontrolliert-randomisierten Studien geprüft. Ein primär präventiver Effekt auf das Auftreten von Schlaganfällen konnte nicht nachgewiesen werden, so dass ASS zur Primärprävention nicht empfohlen werden kann [3,4].

Hingegen kann das Schlaganfallrisiko bei Patienten mit chronischem Vorhofflimmern bei über 75-jährigen oder über 65-jährigen mit mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor durch orale Antikoagulation (OAK) nachhaltig gesenkt werden (Relative Risikoreduktion bis 68%) [5].

Die Behandlung bei nicht-valvulärem VHF und die empfohlenen Richtlinien sind in Tabellen 1 und 2 zusammengefasst.

 

Tabelle 1: Indikationskriterien bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (Tabelle vergrössern: anklicken)

 


Tabelle 2: Vorschlag für den Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern zur Hirnschlagprävention (Tabelle vergrössern: anklicken)

 
 

 

Die Einnahme von kleinen Dosen ASS bei Patienten mit Atheromatose der Karotiden ist auf empirischer Basis weit verbreitet und fand auch in kontrolliert- randomisierten Studien zur Überprüfung der Wirksamkeit der Karotisendarterektomie bei asymptomatischer Stenose Verwendung [6].

 

Sekundärprävention nach erlittenem Hirnschlag

Nach Auftreten einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder eines Schlaganfalls sind Massnahmen zur Prävention weiterer Schlaganfälle im Sinne einer Sekundärprävention indiziert. Entscheidend in der Wahl geeigneter Massnahmen ist die Kenntnis der Ätiologie des Schlaganfalls.

 

Seit den 1970er Jahren ist der günstige Effekt von ASS auf die Verhinderung weiterer ischämischer zerebraler Ereignisse infolge Atherothrombose bekannt. Seit 1977 wurden mehrere kontrolliert-randomisierte Studien publiziert, die einen günstigen Effekt auf die Schlaganfallprävention atherothrombotisch bedingter zerebraler ischämischer Ereignisse nachwiesen [7–16]. Nebst ASS haben sich als wirksam erwiesen: Dipyridamol (DP) in Kombination mit niedrig dosierter ASS, Ticlopidin und Clopidogrel (CG). Andere Substanzen gelten derzeit als obsolet. Im Gegensatz dazu hat sich für die Verhinderung kardioembolisch bedingter Schlaganfälle bei Vorhofflimmern die orale Antikoagulation durchgesetzt. Die Behandlung und Beeinflussung von Risikofaktoren ist auch in der Sekundärprävention entscheidend.

 

Acetylsalicylsäure: Die Einnahme von ASS nach akutem atherothrombotischen Hirnschlag hat sich bewährt. In den vergangenen Jahren entbrannte eine Diskussion über die anzuwendende Dosierung. Mit einer zehn Studien umfassenden Metaanalyse kann eine relative Risikoreduktion vor erneutem ischämischem Ereignis mit einer Salicylat-Dosis zwischen 30 und 1’500 mg/tgl. um maximal 25% erreicht werden. Eine nicht signifikante Korrelation zwischen Dosis und Wirkung ist erkennbar. Indes postulieren die Autoren der IST- [17] sowie der CAST-Studie [18] eine Dosis zwischen 160 und 250 mg/tgl. in der Akutphase, d.h. in den ersten 14 Tagen nach dem Ereignis.

Zusammenfassend gilt: Die Verabreichung von ASS in einer Dosis von 75–300 mg/Tag im Falle einer TIA oder eines leicht- bis mittelgradig behindernden Schlaganfalls atherothrombotischer Genese ist empfehlenswert. Die Dauer der Therapie erstreckt sich über das ganze Leben, soweit keine oder nur unwesentliche Nebenwirkungen auftreten. Die Nachbehandlung mit ASS nach Karotisthrombendarterektomie war im Hinblick auf die zu wählende Dosis umstritten. Die Prüfung im Rahmen kontrolliert- randomisierter Studien ergab, dass eine ASS-Dosis von 80–325 mg einer Dosis von 650–1’300 mg überlegen ist im Hinblick auf die Verhinderung von Schlaganfällen, Myokardinfarkt oder Tod [19].

 

Dipyridamol: Nachdem erste Studien eine präventive Wirkung von Dipyridamol auf das Auftreten von Schlaganfällen nicht aufzuzeigen vermochten, wurden in den Jahren 1989 bis 1993 rund 6’600 Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder TIA in einer Studie randomisiert und mit Dipyridamol und ASS in niedriger Dosierung behandelt [15]. Zweck der Untersuchung war die Evaluation der Sicherheit und Wirksamkeit von niedrig dosierter ASS bzw. Dipyridamol gegenüber Placebo sowie die kombinierte Verabreichung beider Substanzen. Die Reduktion des relativen Risikos, einen neuen Schlaganfall zu erleiden, betrug 18.1% in der Aspirin-Gruppe, 16.3% in der Dipyridamol- Gruppe und 37.0% bei den Patienten, die eine kombinierte Aspirin-Dipyridamol-Therapie erhielten. An einigen Zentren wird deshalb die Kombination als Behandlung erster Wahl eingesetzt. Nebenwirkungen sind bei der simultanen Einnahme von ASS und Dipyridamol häufiger als bei ASS allein, namentlich Kopfschmerzen, Diarrhoe, Nausea und Erbrechen. Es wird empfohlen, die Medikation bei Patienten mit Migräneanamnese nicht einzusetzen.

 

Clopidogrel: Über einen Vergleich der Wirksamkeit von ASS gegenüber Clopidogrel wurde 1996 in der CAPRIE-Studie berichtet. 19’185 Patienten, welche vor Studienbeginn in ungefähr gleicher Häufigkeit entweder einen Schlaganfall, einen Herzinfarkt oder eine peripher arterielle Verschlusskrankheit erlitten hatten, wurden hinsichtlich erneutem Auftreten eines der erwähnten vaskulären Ereignisse beobachtet. In dieser kontrollierten, randomisierten, doppelblinden Studie wurde zur vorbeugenden Behandlung eines zweiten Ereignisses nach ischämischem Schlaganfall, Myokardinfarkt oder atherosklerotischer peripherer Verschlusskrankheit Clopidogrel 75 mg/Tag der Substanz ASS 325 mg/Tag gegenübergestellt [16]. Es stellte sich heraus, dass sich durch die Einnahme von 75 mg Clopidogrel das relative Risiko für ein vaskuläres Zweitereignis um 8.7% (p = 0,043) verminderte, dasjenige eines Schlaganfalles um 7.3% (p = 0,026). Gastrointestinale Nebenwirkungen traten unter Clopidogrel weniger auf als unter ASS.

Untergruppenanalysen weisen darauf hin, dass Clopidogrel bei Patienten mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen, wie z.B. Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie, positiver kardiovaskulärer Anamnese oder nach herzchirurgischem Eingriff, der ASS überlegen ist. Die zusätzliche Verabreichung von 75 mg/Tag ASS zu Clopidogrel 75 mg/Tag bei Patienten mit hohem vaskulären Risiko wurde in der kürzlich veröffentlichen MATCH-Studie (Management of atherothrombosis with clopidogrel in high-risk patients) geprüft [20]. Das Resultat liess wohl eine nicht signifikante, relative Reduktion der primären Endpunkte (vaskulärer Tod, Hirnschlag, Myokardinfarkt, Rehospitalisation wegen vaskulärer Komplikationen) um 6.4% erkennen, bewirkte aber vermehrte lebensbedrohliche Blutungskomplikationen. Unter diesen Umständen kann die Verordnung von ASS zusätzlich zu Clopidogrel bei Patienten mit hohem vaskulären Risiko heute nicht empfohlen werden. Die Resultate der CHARISMA-Studie (Clopidogrel for high atherothrombotic risk and ischemic stabilization, management and avoidance), welche die zusätzliche Gabe von ASS zu Clopidogrel erforscht, sollen in Kürze bekannt gegeben werden.

 

Andere Präventivtherapien

Neu werden so genannte Glycoprotein(GP)-IIa/IIIb- Antagonisten in der Prävention von ischämischen Schlaganfällen geprüft. Eine häufig eingesetzte Substanz ist Abciximab, ein monoklonaler Antikörper, der die zentrale Schnittstelle der Thrombozyten-Aktivierungswege blockiert. Als solcher vermag dieser Wirkstoff auch Fibrinogen von den GP-IIa/IIIb-Rezeptoren zu verdrängen. In der Neurologie findet diese Substanz noch keinen Einsatz. Resultate einer ersten Studie über Anwendung von Abciximab in der akuten Schlaganfallbehandlung [21] zeigen, dass die Substanz ohne Gefahr bei akutem Schlaganfall verabreicht werden kann.

 

Eine weitere Wirksubstanz vom Typ der GP-IIa/IIIb- Rezeptoren-Blocker ist das Tirofiban. Rund eine Woche nach Behandlung wurde bei 18 Patienten mit progressiver Schlaganfallsymptomatik und Tirofiban sowie bei 17 Patienten mit klinisch stabilem Schlaganfall und i.v. Heparin-Therapie ein Kontroll-CT des Schädels durchgeführt [22]. Die Entwicklung und der Einsatz dieser in anderen Fachgebieten wohlbekannten Substanzen stehen noch in Erprobung für die Anwendung in der Neurologie, so dass keine Angaben zur Indikationsstellung möglich sind.

 

Orale Antikoagulation

Den atherothrombotischen Gefässkrankheiten stehen kardiogene Emboliequellen als Ursprung ischämischer Hirnschläge gegenüber.

 

Eine Studie (EAFT) hat bisher gezeigt, dass eine Antikoagulation nach Schlaganfall bei nichtvalvulären VHF einen Vorteil gegenüber der Thrombozytenaggregationshemmung bringt. Die jährliche Thromboembolie- Rate beträgt bei Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern unter OAK 2.1%, bei Patienten ohne OAK 5.8% (EAFT) [23]. Patienten mit VHF und konsekutivem embolischen Schlaganfall sollen demnach mit OAK behandelt werden.

 

Bei Auftreten zerebraler thromboembolischer Ereignisse unter Thrombozytenaggregationshemmern, beim Vorliegen einer Karotisdissektion [24] sowie dem Vorliegen atherosklerotischer Stenosen gelten Indikationen zur oralen Antikoagulation auf empirischer Basis. Im Jahre 1995 beschrieben Chimowitz et al. signifikante therapeutische Vorteile von OAK versus ASS[25]. Alle dabei untersuchten Patienten wiesen eine symptomatische intrakranielle Stenose mit einem Grad zwischen 50% und 90% auf. Während sich in der Warfarin-behandelten Gruppe 7.7 neue schwere vaskuläre Ereignisse auf 100 Patientenjahre ereigneten, fielen innerhalb der mit ASS behandelten Gruppe 18.1 grosse vaskuläre Ereignisse auf 100 Patientenjahre. Diese Zahlen beinhalten 10.4 Hirnschläge auf 100 Patientenjahre für ASS-Behandelte gegenüber 3.6 Hirninfarkte pro 100 Patientenjahre innerhalb der Warfarin-Behandelten [26]. Ein erhöhtes Blutungsrisiko muss in Kauf genommen werden, sobald sich der INR-Wert zwischen 3.0 und 4.5 bewegt.

 

Die Autoren der WARS-Studie (Warfarin-Aspirin for the prevention of Recurrent Stroke) [27] haben gezeigt, dass hinsichtlich eines Wiederauftretens ischämischer Hirnschläge oder dem mit der OAK verbundenen Blutungsrisiko keine signifikante Unterschiede zwischen einer Warfarin-Therapie (INR 1.4–2.8) und Acetylsalicylsäure (325 mg) nachzuweisen sind.

 

Als Vorsorgebehandlung nach erfolgtem Hirninfarkt atherothrombotischen Ursprungs ist die OAK somit nicht indiziert, ist aber in ihrer Wirksamkeit der Behandlung mit ASS gleichzusetzen (Abb. 1).

 

Abbildung 1: OAK vs. ASS in der Sekundärprävention nach atherothrombotisch bedingtem
Hirnschlag [27]

 

 

Die Gefahr vermehrter zerebraler Hämorrhagien besteht dennoch. Eine Studie, die niedrig dosiert ASS (30 mg/tgl.) mit OAK verglich, musste frühzeitig wegen intrazerebraler Hämorrhagien sistiert werden [28].

 

Zusammenfassung

Acetylsalicylsäure (ASS) kann, mit Ausnahme allgemeiner Kontraindikationen, immer nach atherothrombotischen, zerebrovaskulären Ereignissen verordnet werden. Dipyridamol kombiniert mit niedrig dosierter ASS ist eine Alternative zur ASS-Therapie, sofern die Kontraindikationen berücksichtigt werden. Clopidogrel wird bei einem erhöhten vaskulären Risiko eingesetzt, eine Kombination von Clopidogrel mit ASS kann derzeit nicht empfohlen werden. Die Indikation für orale Antikoagulation ist bei Vorhofflimmern sowohl für die Primärprävention des Schlaganfalls als auch zur Sekundärprävention gegeben.

 

Prof. Dr. med. Philippe Lyrer, Leiter Neurologische Bettenstation, Universitätsspital Basel

 

Referenzen

1. Zerebrovaskuläre Arbeitsgruppe der Schweiz (ZAS) und

Schweizerische Herzstiftung (SHS). Schweizerische Ärztezeitung

2000; 81 (16): 835–838.

2. Zerebrovaskuläre Arbeitsgruppe der Schweiz (ZAS) und

Schweizerische Herzstiftung (SHS). Schweizerische Ärztezeitung

2000; 81(18): 927–933.

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