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Erstlinien-Therapie aggressiver Non-Hodgkin-Lymphome

Einleitung

Die Inzidenz aggressiver Non-Hodgkin-Lyphome (NHL) ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen und liegt derzeit bei ca. 10 Neuerkrankungen pro 100’000 Einwohnern und Jahr. Aus klinischer, biologischer und histopathologischer Sicht repräsentieren NHL eine sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen, deren gemeinsames Merkmal die Abstammung von Zellen des lymphatischen Systems ist. Dabei gehören 40% aller Lymphome aufgrund ihrer hohen Proliferations- und Wachstumsrate zu den aggressiven NHL. Die Behandlung von Patienten mit aggressivem NHL hat sich durch die Kombination aus Immun- und Chemotherapie grundlegend geändert und für einzelne Entitäten sind Heilungsraten von bis zu 90% zu erzielen.

 

Biologie und Klassifikation aggressiver Non-Hodgkin-Lymphome

Verbesserte Untersuchungsmethoden und die Identifizierung bzw. Abgrenzung neuer Lymphomentitäten haben wiederholt zu einer Modifikation der gültigen Klassifikationen geführt. So wurden die früher in Europa (Kiel-Klassifikation) und Nordamerika (Working-Formulation) verwendeten Klassifikationen durch die neue WHO-Klassifikation [1] abgelöst, die erstmals eine Einteilung aufgrund morphologischer, molekularer und zytogenetischer Parameter (s. Tab. 1) erlaubt. Um eine umfassende Diagnostik und nachfolgende Zuteilung zu einer definierten Lymphomentität zu ermöglichen, ist wann immer technisch realisierbar eine komplette Entfernung betroffener Lymphknoten gefordert. Ein weiterhin wichtiger Eckpfeiler in der Klassifikation der Lymphome stellt die Einteilung in langsam (indolent) und rasch wachsende (aggressive) Lymphome der B- und T-Zell-Reihe dar.

 

Tabelle 1: WHO-Klassifikation aggressiver Lymphome (Bild vergrössern: auf Bild klicken)

 

 

Definition prognostischer Risikogruppen

In Westeuropa und Nordamerika treten aggressive B- (ca. 90%) im Vergleich zu aggressiven T-Zell-Lymphomen (10%) deutlich häufiger auf. Innerhalb der aggressiven B-NHL sind die diffus-grosszelligen Lymphome (DLBCL) mit gut 30% die häufigste Lymphomentität bei einem Altersmedian von 64 Jahren [2]. Etwa die Hälfte aller Patienten wird in frühen Stadien (I und II) diagnostiziert. Eine Zuteilung der Patienten zu einzelnen Risikogruppen erfolgt durch Bestimmung des Internationalen Prognostischen Index (sog. IPI-Score), dem klinisch einfach zu bestimmende Parameter wie Allgemeinzustand, Ausbreitungsgrad des Lymphoms sowie Standardlaborparameter (Höhe der Laktatdehydrogenase «LDH») zu Grunde liegen [3] (s. Tab. 2). Der IPI-Score hat in mehreren prospektiven Studien seine klinisch-prognostische Gültigkeit bewiesen und sollte deswegen Grundlage der Therapieentscheidung wie auch der Stratifikation in laufenden klinischen Studien sein [2].

 

Tabelle 2A: Internationaler prognostischer Index

 

 

 

Tabelle 2B: Einteilung in fünf Risikogruppen (Bild vergrössern: auf Bild klicken)

 

 

 

Tabelle 2C: Altersadjustierter IPI für Patienten im Alter unter 60 Jahren dar

 

 

CHOP-basierte Therapieregime

Die Entwicklung neuer Therapiekonzepte in der Behandlung aggressiver NHL hat lange stagniert und basiert heutzutage immer noch auf dem von McKelvey erstmals 1976 publizierten CHOP-Regime [4]. Grosse Hoffnung wurde in den darauffolgenden 2 Jahrzehnten in sog. dosis-intensivierte Therapieschemata mit dem zum Teil vollständigem Austausch der im CHOP-Regime verwendeten Substanzen gelegt. Eine amerikanische Intergroup-Studie brachte 1993 jedoch ernüchternde Ergebnisse, da die neueren Therapieschemata deutlich höhere Toxizitäten ohne einen Überlebensvorteil im Vergleich zu dem CHOP-Regime aufwiesen [5]. Auf diesen Daten aufbauend hat die deutsche Studiengruppe zur Therapie aggressiver Lymphome (DSHNHL) Anfang der 90er Jahre eine randomisierte vierarmige Studie initiiert. Basierend auf dem CHOP-Regime wurde die Frage einer Dosisintensivierung durch Verkürzung der Therapieintervalle von 3 (CHOP-21) auf 2 (CHOP-14) Wochen und die Erweiterung der zytotoxischen Substanzen durch Hinzunahme von Etoposid, einem Topoisomerase-II-Hemmer mit bewiesener Aktivität in der Behandlung von Lymphomen, gestellt [6,7]. Gerade die Gruppe der über 60-jährigen hat die Verkürzung der Therapieintervalle um eine Woche unter Einsatz des Wachstumsfaktors G-CSF exzellent vertragen. Parallel war eine Steigerung der Rate an kompletten Remissionen von 60% im CHOP-21-Arm auf 76% im CHOP-14-Arm zu verzeichnen. Bei einer bisher publizierten medianen Beobachtungsdauer von 58 Monaten betrug das 5-Jahres krankheitsfreie Überleben 33% für die CHOP-21 und 44% für die CHOP-14 Gruppe mit Gesamtüberlebensraten (OS) von 33% bzw. 44% [7].

 

Bei den jüngeren Patienten (Alter < 60 Jahre) wurden nur solche mit niedriger LDH eingeschlossen und Etoposid konnte in Kombination mit CHOP weitgehend problemlos appliziert werden [6]. Gegenüber dem CHOP-Regime liess sich mit dem CHOEP-Regime eine Verbesserung der Rate kompletter Remissionen von 80% auf 88% erreichen und der Anteil der nach 5 Jahren krankheitsfreien Patienten erhöhte sich von 58% auf 70%. Damit sollte in diesem Kollektiv das CHOEP-Regime dem CHOP-Regime trotz höherer Hämatotoxizität vorgezogen werden.

 

Dosisintensivierung mit Stammzelltherapie bei jüngeren Patienten

Die Frage einer möglichst aggressiven Therapie mit Einsatz autologer Stammzellen wird gerade in der Gruppe der jungen Patienten mit schlechtem Risikoprofil (hoch-intermediär und hohes Risiko) seit Jahren kontrovers diskutiert. Einzelnen positiven Berichten über den Vorteil einer möglichst frühen Hochdosistherapie mit anschliessender Stammzellrückgabe stehen mehrere negative Berichte gegenüber. Eine kürzlich von der französischen Studiengruppe (GELA) veröffentlichte Studie mit positivem Ergebnis für den Einsatz der Hochdosistherapie und autologer Stammzelltherapie ist kritisch zu hinterfragen, da die beiden Vergleichsarme sich deutlich in der Dosisintensität der Induktionsschemata unterschieden und damit der Wert einer konsolidierenden autologen Stammzelltransplantation nicht sicher zu beurteilen ist [8]. Letztendlich muss aufgrund der derzeitigen Datenlage konstatiert werden, dass junge Patienten von einer Dosisintensivierung profitieren, es aber unklar ist, ob diese nur durch eine Hochdosistherapie mit anschliessendem Stammzelltransfer zu erreichen ist. Diese Fragestellung sollte weiterhin in entsprechenden Studien analysiert werden.

 

Kombinierte Immun-Chemotherapie

Eine neue Ära in der Therapie aggressiver B-NHL wurde durch den klinischen Einsatz von monoklonalen Antikörpern und hier insbesondere CD20 antigen-spezifischer Antikörper erzielt. Der Prototyp dieser neuen Generation an biologisch aktiven Substanzen ist Rituximab. Nachdem Rituximab zunächst in der Monotherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem Lymphom seine Wirksamkeit gezeigt hatte, fand es rasch Einzug in die Primärtherapie insbesondere in Kombination mit dem CHOP-Regime. Die Überlegenheit einer Kombinationstherapie im Vergleich zu einer alleinigen CHOP-Therapie wurde eindrücklich durch die französische GELA-Arbeitsgruppe für Patienten mit DLBCL im Alter über 60 Jahren untermauert. Die kürzlich veröffentlichten 5-Jahresdaten wiesen ein signifikant verbessertes Gesamtüberleben von 58% für den R-CHOP gegenüber 45% für den CHOP Arm auf (p = 0.0073) [9].

Die RICOVER Studie [10] bestätigt diesen Daten und suggeriert zudem eine Überlegenheit für den Einsatz des zeitverkürzten CHOP-14-Regimes in Kombination mit Rituximab. Da in der RICOVER-Studie kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen sechs und acht Therapiezyklen zu verzeichnen war, gelten sechs Zyklen CHOP-14 mit Rituximab in dem Alterskollektiv über 60 Jahren als Standard.

 

Auch Patienten mit DLBCL im Alter unter 60 Jahren und einem günstigen Risikoprofil (definiert als IPI 0 oder 1 in der altersadjustierten Einteilung) profitieren von der Kombinationstherapie aus Rituximab und CHOP-21 bzw. CHOEP-21 Chemotherapie [11]. Bei einer medianen Beobachtungsdauer von 23 Monaten betrug das 2-Jahres-krankheitsfreie Überleben 60% für die alleinige Chemotherapie und 76% für die Kombination bestehend aus Rituximab und Chemotherapie mit Gesamtüberlebensraten von 87% bzw. 94% zu diesem Zeitpunkt. Der Einsatz von Rituximab egalisierte den Zugewinn einer Etoposid-Therapie im Rahmen der CHOP-Therapie und etabliert damit Rituximab + CHOP-21 als Goldstandard für das Kollektiv der jungen Patienten mit niedrigem Risiko gemäss IPI. Da die Hinzunahme von Etoposid zum CHOP-Regime sowohl die Toxizität erhöht als auch die Therapiedauer pro Zyklus von ein auf drei Tage verlängert, ist der Gewinn an Lebensqualität für den Patienten beträchtlich.


Fazit
  • Die derzeitig gültige WHO-Klassifikation für Lymphome erlaubt erstmals einen Vergleich zwischen verschiedenen Studiengruppen.

  • Das CHOP-Chemotherapieregime gilt weiterhin als Grundlage für neue Therapieentwicklungen.

  • Eine Dosisintensivierung des CHOP-Regimes durch Zeitverkürzung der Therapieintervalle bzw. Hinzunahme weiterer aktiver Substanzen erhöht die Wirksamkeit.

  • Die Kombination aus Immuntherapie mit dem CD20-antigenspezifischen Antikörper Rituximab und CHOP-Chemotherapie ist derzeit als Standard für Patienten im Alter über 60 Jahren bzw. bei jüngeren mit günstigem Risikoprofil (IPI 0 bzw. 1) zu betrachten.

  • Bei jungen Patienten mit ungünstigem Risikoprofil ist die Wertigkeit einer kombinierten Immun-Chemotherapie noch nicht bewiesen. Gerade diese Patienten sollten in Studien behandelt werden.

 

PD Dr. Christoph Renner
Klinik und Poliklinik für Onkologie, Universitätsspital Zürich


 
Referenzen

1. Stein, H. The new WHO classification of malignant lymphoma. After "REAL" a further step on the road to a worldwide consensus. Pathologe 2000, 21(2), 101-105.
2. Trumper, L., Glass, B., Hartmann, F. & Pfreundschuh, M. New diagnostic and therapeutic strategies for aggressive lymphomas. Dtsch Med Wochenschr 2004, 129(40), 2113-2117.
3. Shipp, M.A. Can we improve upon the International Index? Ann Oncol 1997, 8 Suppl 1, 43-47.
4. McKelvey, E.M., Gottlieb, J.A., Wilson, H.E. et al. Hydroxyldaunomycin (Adriamycin) combination chemotherapy in malignant lymphoma. Cancer 1976, 38(4), 1484-1493.
5. Fisher, R.I., Gaynor, E.R., Dahlberg, S. et al. Comparison of a standard regimen (CHOP) with three intensive chemotherapy regimens for advanced non-Hodgkin's lymphoma. N Engl J Med 1993, 328(14), 1002-1006.
6. Pfreundschuh, M., Trumper, L., Kloess, M. et al. Two-weekly or 3-weekly CHOP chemotherapy with or without etoposide for the treatment of young patients with good-prognosis (normal LDH) aggressive lymphomas: results of the NHL-B1 trial of the DSHNHL. Blood 2004, 104(3), 626-633.
7. Pfreundschuh, M., Trumper, L., Kloess, M. et al. Two-weekly or 3-weekly CHOP chemotherapy with or without etoposide for the treatment of elderly patients with aggressive lymphomas: results of the NHL-B2 trial of the DSHNHL. Blood 2004, 104(3), 634-641.
8. Milpied, N., Deconinck, E., Gaillard, F. et al. Initial treatment of aggressive lymphoma with high-dose chemotherapy and autologous stem-cell support. N Engl J Med 2004, 350(13), 1287-1295.
9. Feugier, P., Van Hoof, A., Sebban, C. et al. Long-term results of the R-CHOP study in the treatment of elderly patients with diffuse large B-cell lymphoma: a study by the Groupe d'Etude des Lymphomes de l'Adulte. J Clin Oncol 2005, 23(18), 4117-4126.
10. Michael Pfreundschuh, M.K., Rudolf Schmits, Samira Zeynalova, Eva Lengfelder, Astrid Franke, Hans Steinhauer, Marcel Reiser, Michael Clemens, Christine Nickenig, Martha de Wit, Martin Hoffmann, Roland Mertelsmann, Bernd Metzner, Anthony Ho, Lorenz Truemper, Hans Eimermacher, Hans Mergenthaler, Ruediger Liersch, Ulrich Duehrsen, Leopold Balleisen, Frank Hartmann, Viola Poeschel, Norbert Schmitz, Markus Loeffler German High-Grade Non-Hodgkin Lymphoma Study Group (DSHNHL), Medizinische Klinik I, Saarland University Medical School, Homburg, Saarland, Germany. Six, Not Eight Cycles of Bi-Weekly CHOP with Rituximab (R-CHOP-14) Is the Preferred Treatment for Elderly Patients with Diffuse Large B-Cell Lymphoma (DLBCL): Results of the RICOVER-60 Trial of the German High-Grade Non-Hodgkin Lymphoma Study Group (DSHNHL). Blood 2005, 106(11), abstract 13.
11. M. G. Pfreundschuh, A.H., M. Wolf, E. Cavallin-Stahl, R. Pettengell, I. Vasova, A. Belch, J. Walewski, P. Zinzani, W. Mingrone, M. Loeffler. Treatment results of CHOP-21, CHOEP-21, MACOP-B and PMitCEBO with and without Rituximab in young good-prognosis patients with aggressive lymphomas: Rituximab as an “EQUALIZER” in the MInT (MABTHERA INTERNATIONAL TRIAL GROUP) study. Proc Am Soc Oncol 2005, abstract 6529.

 

 
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19.01.2006 - ssc
 



 
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