Aktuelles aus der Kardiologie – Kongressbericht ESC 2005 Stockholm
Vom 3. bis 7. September fand in Stockholm die Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie statt. Folgender Beitrag soll eine kurze Zusammenfassung der Höhepunkte des grössten Medizinkongresses Europas bieten.
Todesstoss für das Homozystein
In mehreren Beobachtungsstudien hatte sich das Homozystein zunehmend als ein neuer unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor abgezeichnet, wobei sich der Homozysteinspiegel mittels Folsäuregabe leicht reduzieren lässt. Dies veranlasste einige Ärzte, ihre Patienten sowohl in der Primär- wie auch in der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit (KHK) mit hochdosierter Folsäure zu behandeln. Die letzten grossen Interventionstudien zeigten allerdings diesbezüglich bereits neutrale oder gar deletäre Ergebnisse. In der NORVIT-Studie (Norwegian randomized trial of homocysteine-lowering with B-vitamins for the secondary prevention of cardiovascular disease after acute myocardial infarction) wurden 3’749 Patienten mit einem mittleren Alter von 64 Jahren sieben Tage nach akutem Myokardinfarkt in 4 Gruppen randomisiert: Folsäure 0.8 mg/d (plus 0.4 mg Vitamin B12), Vitamin B6 40 mg/d, Folsäure kombiniert mit Vitamin B6/B12, und Placebo. Die Kombination Folsäure/Vitamin B6/B12, wie auch Folsäure allein, vermochten erwartungsgemäss den Homozystein-Spiegel um 28% zu senken, wobei der Folsäurespiegel um einen Faktor 7 zunahm. Nach 3 ½ Jahren kam es bei 18% der Placebo-Patienten zu einem Hirnschlag oder Myokardinfarkt, identisch mit der Folsäure- und der Vitamin B6-Gruppe. Die Patienten die eine Kombinationstherapie erhielten, wiesen jedoch mit 23% signifikant mehr Ereignisse auf, einer absoluten Risikoerhöhung von 5% in 3 ½ Jahren entsprechend. Bei Patienten unter Hochdosis-Folsäure zeigte sich zudem einen Trend zu vermehrten Krebserkrankungen. Interessanterweise zeigte keine Subgruppe einen Vorteil der Vitaminbehandlung, auch nicht die Patienten mit den höchsten Homozystein-Spiegeln. Beim Homocystein dürfte es sich somit lediglich um einen „innocent bystander“ handeln, und nicht um einen unabhängigen Risikofaktor. Die Homozystein Hypothese ist damit wohl gestorben, und eine Hochdosis-Vitamin-Gabe ist somit auch in der Kardiologie kontraindiziert.
Fischöl bei Koronarikern: nützt nicht, schadet nicht
Nachdem in der GISSI Prevenzione Studie eine signifikante Abnahme des plötzlichen Herztodes beobachtet wurde, und allgemein in Populationen mit einem hohen Verzehr von fetthaltigem Fisch nur wenige fatale kardiovaskuläre Ereignisse beobachtet werden, wurde postuliert, dass Omega-3 Fettsäurenreiches Fischöl das Risiko von malignen ventrikulären Herzrhythmusstörungen, und damit das Risiko eines plötzlichen Herztodes zu senken vermag. In der SOFA Studie (Study on Omega-3 Fatty Acid and ventricular arrhythmia) erhielten 546 Patienten, bei denen aufgrund einer malignen ventrikulären Rhythmusstörung zur Sekundärprävention ein Defibrillator (ICD) implantiert worden war, randomisiert entweder 2 g Fischöl/d (900 mg Omega-3, entspricht 3-4 Fischmahlzeiten/Woche) oder Placebo (Sonnenblumenöl). Nach einem Jahr zeigte sich kein Unterschied bezüglich Tod und interventionsbedürftigen ventrikulären Arrhythmien (rezidivfreies Überleben 70% unter Fischöl versus 67% unter Placebo; p=0.24). Lediglich in der Subgruppe der Patienten mit Status nach Myokardinfarkt zeigte sich ein Trend zugunsten der Omega-3 (71% versus 63%; p=0.09). Die Resultate einer grösseren Studie (GISSI-HF) werden Ende 2007 erwartet.
Alle ACE-Hemmer sind gleich, aber einige sind gleicher
Der ASCOT-BPLA Studienarm (Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial – Blood Pressure Lowering Arm) wird in diesem Heft gesondert abgehandelt.
In der PREAMI-Studie (Perindopril Remodeling in Elderly with Acute Myocardial Infarction) kam es, bei 1'252 älteren (>65 Jahre) post-(kleinen) Infarkt Patienten mit erhaltener systolischer Funktion (EF >40%), und somit ohne klare Indikation für einen ACE-Hemmer, unter Perindopril 8 mg/d zusätzlich zur Standardbehandlung im Vergleich zu Placebo zu einer Reduktion (RR=0.38; p<0.001) des relativen Risikos des kombinierten Endpunktes Tod, Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz, und linksventrikulärem Remodeling (definiert als >8%-ige Zunahme des enddiastolischen Volumens nach 12 Monaten), wobei allerdings lediglich das Remodeling signifikant um 64% gesenkt wurde (RR=0.46; p<0.001).
Demgegenüber zeigte die IMAGINE-Studie bei 2'553 Patienten ohne klare Indikation für einen ACE-Hemmer keinen Nutzen einer ACE-Hemmer Gabe (Accupril 8 mg/d) früh (nur 7 Tage) nach einer AC-Bypass-Operation. Es wurden sogar ein Trend zu mehr kardiovaskulären Ereignissen, grösstenteils in der Frühphase, sowie erwartungsgemäss auch signifikant mehr Nebenwirkungen beobachtet. Somit zeigt sich einerseits, dass eine Prävention bei einer Niedrigrisikopopulation keinen Sinn macht, und anderseits nun zunehmend, dass bei ACE-Hemmern nicht unbedingt von einem Klasseneffekt ausgegangen werden kann, sondern dass es auf die Wahl des ACE-Hemmers ankommt.
Herzinsuffizienz – Betablocker oder ACE-Hemmer zuerst?
Bei Patienten mit Herzinsuffizienz und systolischer Dysfunktion beinhaltet die optimale Therapie einen ACE-Hemmer und einen Beta-Blocker, wobei historisch gesehen die ACE-Hemmer Therapie sich zuerst etablierte, und die Betablocker dann zusätzlich zu den ACE-Hemmern verabreicht wurden. Da bei Herzinsuffizienz das sympathische Nervensystem früher als das RAA-System aktiviert wird, wobei beide von Betablockern gehemmt werden, und auch in Anbetracht der Tatsache, dass der plötzliche Herztod die Haupttodesursache in der frühen Phase der Herzinsuffizienz darstellt, könnte die frühe Einführung eines Betablockers theoretisch vorteilhaft sein. Die CIBIS III (Cardiac Insufficiency Bisoprolol Study) Studie zeigte diesbezüglich, dass es bei 1'010 Patienten älter als 65 Jahre mit mässiger symptomatischer Herzinsuffizienz keinen Unterschied macht (nicht-Inferiorität), ob zuerst eine Betablocker-Monotherapie (Bisoprolol) während 6 Monaten eingeführt und ausgebaut wird, gefolgt vom ACE-Hemmer (Enalapril), oder ob der ACE-Hemmer wie gehabt zuerst ausgebaut wird, gefolgt vom Betablocker.
Invasive Kardiologie
Seit 1992 erfolgt eine systematische Erfassung der jährlich in Europa durchgeführten perkutanen Herzeingriffe. In 10 Jahren, von 1992 bis 2002, kam es zu einer Verdreifachung der Anzahl Koronarographien, wobei die Anzahl PTCA’s verfünffacht wurde, und die Anzahl Stentimplantationen sich von 3'000 auf 585'500 pro Jahr gar um einen Faktor 200 erhöhte. Seit der Einführung der medikamentös beschichteten Stents („drug eluting stents“ oder DES) wurde eine dramatische Reduktion der Restenoserate verzeichnet. Diesbezüglich wurde vielfach spekuliert, dass die DES trotz des höheren Preises im Vergleich zu den konventionellen „bare metal stents“ für das Gesundheitssystem insgesamt kosteneffektiv sein könnten, da die Folgeeingriffe bei Restenose entfallen. Die prospektive Basler BASKET-Studie (Basel Stent Kosten-Effektivität) zeigte nun erwartungsgemäss, dass allenfalls bei Hochrisiko-Patienten eine Kostenreduktion in den ersten 6 Monaten zu erwarten ist, wobei solche Vergleiche natürlich extrem vom Preis der jeweiligen Stents abhängig sind.
Eine post-interventionelle Troponin-Erhöhung, definitionsgemäss einem peri-interventionellem Myokardinfarkt entsprechend, wird gemäss Registerdaten bei 10-40% der PTCA Patienten beobachtet. Die PACIFIQUE-Studie bestätigte die hohe Inzidenz eines Troponinanstieges nach elektiver PTCA (20% bei 1’102 konsekutiven Patienten; CK-Anstieg >3x über Normwert bei 2.1%), zeigte aber auch auf, dass dieser keine prognostische Bedeutung hat.
Nachdem mehrere Studien (FRISC II, RITA-3 und TACTICS) kürzlich belegten, dass eine rasche systematische invasive Abklärung und Revaskularisation bei Patienten mit nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) von Vorteil ist, und sich diese Strategie auch in der klinischen Praxis zunehmend durchsetzen konnte, zeigten nun die 5-Jahres Daten der RITA-3 Studie, der hiermit grössten Studie mit der längsten Verlaufsbeobachtung, erstmals eine signifikante Reduktion der Gesamtmortalität, sowie des Herzinfarktrisikos und des Herztodes, wobei die Kaplan-Meier Kurven nach 1 Jahr divergieren. Dies ist nicht verwunderlich, schlagen doch die interventionellen Komplikationen am Anfang zu Buche, wohingegen im Verlauf nach Revaskularisation weniger Ereignisse zu erwarten sind.
In CLARITY-TIMI 28 Studie wurden 3’491 Patienten mit ST-Hebungsinfarkt vor der Fibrinolyse randomisiert zu Clopidogrel (300 mg Ladedosis, dann 75 mg/d) versus Placebo, wobei Clopidogrel die „patency rate of the infarct-related artery“ erhöhte und die ischämischen Komplikation reduzierte. Nach 2 bis 8 Tagen wurden alle Patienten invasiv abgeklärt, und 1'863 perkutan revaskularisiert, wobei nun die Vorbehandlung mit Clopidogrel mit der peri-interventionellen Gabe verglichen werden konnte (PCI-CLARITY). Die Vorbehandlung mit Clopidogrel reduzierte die ischämischen Komplikationen sowohl vor wie nach PCI, ohne das Blutungsrisiko signifikant zu erhöhen. Pro 100 mit Clopidogrel vorbehandelten Patienten können 4 Ereignisse vermieden werden.
Die STEEPLE Studie (Safety and efficacy of enoxaparin in percutaneous coronary intervention patients) zeigte, dass bei elektiver PCI Enoxaparin gleich wirksam ist wie unfraktioniertes Heparin, aber weniger Blutungen verursacht (-57%; pro 60 behandelte Patienten 1 schwere Blutung weniger).
Die OASIS-Studie (Organisation to Assess Strategies for Ischaemic Syndromes) verglich Fondaparinux (2.5 mg sc/d), einen neuen selektiven anti-Xa Inhibitor, mit Enoxaparin (1 mg/kg sc 2x/d), bei 20'078 Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS). Fundaparinux war gleich wirksam, halbierte aber das Blutungsrisiko (-47% schwere Blutungen). Dies ist klinisch relevant, sind doch Blutungen mit teils fatalen Komplikation assoziiert. So war denn auch die 30-Tage- und 6-Monats-Mortalität unter Fundaparinux signifikant reduziert. Pro 1'000 mit Fondaparinux behandelten ACS-Patienten können im Vergleich zu Enoxaparin 10 Todesfälle, 4 Hirnschläge und 25 schwere Blutungen vermieden werden. Das zudem günstigere Fondaparinux könnte somit Enoxaparin beim ACS ersetzen.
Die ASSENT-4 Studie, welche bei Patienten mit grossem akuten ST-Hebungsinfarkt mit weniger als 6 Stunden nach Schmerzbeginn und geplanter Akut-PTCA die Akut-PTCA mit einer „facilitated PCI“, d. h. einer Thrombolyse mit Tenecteplase (full dose) gefolgt von einer sofortigen Koronarographie verglich, wurde wegen einer höheren Mortalität im Lyse-Arm vorzeitig abgebrochen. Die 30-Tage Mortalität betrug 6% im kombinierten Arm, versus 4% im Akut-PTCA Arm (p=0.04), und zwar sowohl aufgrund von hämorrhagischen wie auch von ischämischen Komplikationen. Auffallend zudem die relativ geringe Reperfusionsrate mittels Thrombolyse (nur 44% TIMI 3 Fluss, im Vergleich zu 15% im Akut-PTCA Arm, wobei die Core Lab Daten noch ausstehen), sowie die im Vergleich zu anderen Studien geringe Mortalität im Akut-PTCA Arm. Wie es scheint, hatten die Patienten nicht wie erwartet die Vorteile der schnellem Thrombolyse und der mechanischen Revaskularisation, sondern viel mehr die Nachteile beider Therapien kumuliert – ein Rückschlag für das Konzept der „facilitated PCI“.
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26.9.2005 |
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