Mammakarzinom adjuvant: Aromatasehemmer für alle?
Hat Tamoxifen (Nolvadex®) in der adjuvanten endokrinen Behandlung der postmenopausalen Patientin mit rezeptorpositivem Mammakarzinom ausgedient? Enthusiastischen Medienberichten («Ehemaliger Goldstandard Tamoxifen abgelöst!») steht die Aussage von Prof. A. Goldhirsch (Vorsitzender des wissenschaftlichen Komitees der International Breast Cancer Study Group IBCSG) an der Konsensuskonferenz 2005 in St. Gallen gegenüber: «Tamoxifen ist nicht tot, es liegt nicht einmal auf der Intensivstation!». Aus der Metaanalyse der Oxford-Overview wissen wir, dass eine 5-jährige adjuvante Therapie mit Tamoxifen nach Primärbehandlung eines lokalisierten, rezeptorpositiven Mammakarzinoms zu einer signifikanten Verbesserung des 10 Jahres-Überlebens führt, die relative Mortalitätsreduktion beträgt 26% (Erhöhung des 10 Jahres-Überlebens bei nodal-positivem Karzinom von 51% auf 61%, bei nodal-negativem Karzinom von 73% auf 79%). Diese erfolgreiche Therapie wird nun bei postmenopausalen Patientinnen durch die Substanzgruppe der Aromataseinhibitoren (AI) herausgefordert. Diese reduzieren die Östrogenproduktion in den peripheren Geweben und auch intratumoral und entziehen somit den hormonabhängigen Krebszellen einen Proliferationsstimulus. Es liegen Resultate von vier grossen randomisierten Studien vor, die den Einsatz von AI in der adjuvanten Situation geprüft haben: Gemeinsam ist allen vier, dass postmenopausale Patientinnen mit operiertem und – falls indiziert – adjuvant bestrahltem invasivem Brustkrebs (Stadien T1-3, nodal-negativ oder -positiv, keine Fernmetastasen) eingeschlossen wurden, sie unterscheiden sich aber bezüglich der eingesetzten Substanzen und deren Sequenz:
ATAC – mit Anastrozol (Arimidex®) [1]
9’366 Patientinnen wurden nach der Operation (= up-front) in einen der folgenden 3 Arme randomisiert: a) Anastrozol (A) 1 mg über 5 Jahre, b) Tamoxifen (T) 20 mg über 5 Jahre, c) Kombination von A und T über 5 Jahre. Der Kombinationsarm wurde nach der zweiten Interimsanalyse nach 47 Monaten geschlossen, da er bezüglich Wirksamkeit keinen Vorteil gegenüber T alleine zeigte.
Wirksamkeit
Nach einem medianen Follow-up von 68 Monaten zeigte sich bei rezeptorpositiven Tumoren eine Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens (relative Risikoreduktion) unter A gegenüber T von 17% (p = 0.005). Allerdings unterschied sich das Gesamtüberleben (Overall Survival) nicht signifikant für A gegenüber T (rel. Risikoreduktion 3%, p = 0.7). Subgruppenanalysen zeigten, dass Frauen mit Östrogenrezeptor-positivem aber Progesteronrezeptor-negativem Tumor besonders stark von A profitierten, wohingegen Frauen mit vorangegangener Chemotherapie oder Patientinnen mit Tumoren, die beide Hormonrezeptoren exprimieren, keinen grösseren Nutzen von A als von T hatten.
Toxizität
Die subjektive Verträglichkeit von A gegenüber T war etwas besser, entsprechend kam es auch zu etwas weniger Therapieabbrüchen (24% vs. 28%). Wallungen traten unter A in 36% auf (T 41%), vaginale Blutungen in 5% (T 10%), wohingegen Gelenksschmerzen unter A deutlich häufiger waren (36% vs. 30%). Unter A kam es zu weniger Endometriumkarzinomen (0.2% vs. 0.8%), weniger thromboembolischen Ereignissen (2.8% vs. 4.5%) und weniger zerebrovaskulären Ereignissen (2.0 vs. 2.8%), hingegen war unter A die Rate von kardiovaskulären Ereignissen tendenziell höher (4.1 vs. 3.4%) und es zeigten sich auch mehr Frakturen (11% vs. 7.7%).
BIG-1/98 – mit Letrozol (Femara®) [2]
Die Resultate dieser Studie wurden im Januar 2005 an der 9. Internationalen Konferenz über «Primary Therapy of Early Breast Cancer» vorgestellt, sie liegen erst in Abstract-Form vor. 8’028 Patientinnen wurden nach der Operation in einen der folgenden 4 Arme randomisiert: a) Tamoxifen (T) 20 mg über 5 Jahre, b) Letrozol (L) 2.5 mg über 5 Jahre, c) T über 2 Jahre, gefolgt von L über 3 Jahre, d) L über 2 Jahre, gefolgt von T über 3 Jahre.
Wirksamkeit
Es liegt erst die «Primary Core Analysis» mit einer medianen Beobachtungsdauer von 35.5 Monaten vor, in der die initialen Therapien gegeneinander verglichen werden, die Effekte der sequentiellen Therapien sind noch nicht ausgewertet und berück-sichtigt (entsprechend wurde das Follow-up dieser Arme für diese Analyse bei 25.8 Monat abgebrochen). Insgesamt wurde das krankheitsfreie Überleben durch L um 19% verbessert (p = 0.003). Nach 5 Jahren zeigte sich für L eine Rückfallrate von 10.2% gegenüber 13.6% für T, eindrücklich ist vor allem die relative Risikoreduktion einer Fernmetastasierung um 27%. Der Effekt auf das Gesamtüberleben war zu diesem Zeitpunkt statistisch nicht signifikant. Bezüglich des grösseren Effekts von L auf das krankheitsfreie Überleben konnte in den Subgruppenanalysen kein Unterschied durch vorangegangene Chemotherapie oder einen negativen Progesteronrezeptor festgestellt werden, dies im Gegensatz zur ATAC-Studie.
Toxizität
Wallungen traten unter L in 38% auf (vs. 34% unter T), vaginale Blutungen in 3.3% (T 6.6%), Endometriumkarzinome in 0.2% (T 0.4%), venöse thromboembolische Ereignisse in 1.0% (T 2.4%). L führte zu geringfügiger Cholesterinerhöhung, zu zerebrovaskulären Ereignissen kam es unter L in 1.2% (T 1.1%). Kardiovaskuläre Ereignisse, selten mit Todesfolge, waren unter L geringfügig häufiger (8.7% vs. 8.3%). Signifikant höher war die Frakturrate unter L mit 5.8% (T 4.1%).
IES – mit Exemestan (Aromasin®) [3]
4’742 Patientinnen, die nach Operation und einer anschliessenden zwei- bis dreijährigen Tamoxifentherapie tumorfrei geblieben waren, wurden für die verbleibende Zeit der total fünfjährigen endokrinen Therapie in einen von zwei Armen randomisiert: a) weiter Tamoxifen (T), b) Wechsel auf Exemestan (E).
Wirksamkeit
Die mediane Beobachtungsdauer bei Publikation betrug 30.6 Monate. Es zeigte sich ein verbessertes 3-Jahres krankheitsfreies Überleben von 91.5% für E gegenüber 86.8% für T (HR 0.68, 95% CI 0.56 - 0.82, p = 0.00005). In Subgruppenanalysen zeigte sich kein Unterschied für Progesteronrezeptor-negative Tumore oder vorangegangene Chemotherapie. Der relative Effekt war unabhängig vom Nodalstatus. Auch hier war das OS nicht signifikant besser für E (HR 0.88, 95% CI 0.67 - 1.16, p = 0.37).
Toxizität
Wallungen traten unter E in 42% auf (vs. 40% unter T), Gelenkschmerzen in 5.4% (T 3.6%), vaginale Blutungen in 4% (T 5%), häufiger war unter E Diarrhoe mit 4.3% (T 2.3%). Zu thromboembolischen Ereignissen kam es unter E in 1.0% (T 1.9%). Eine Osteoporose wurde unter E in 7.4% gemessen (T 5.7%).
MA.17 – mit Letrozol (Femara®) [4]
5’187 Patientinnen, die nach der Operation eine 5-jährige Tamoxifentherapie erhalten hatten und rezidivfrei waren, wurden in zwei Gruppen randomisiert: a) Letrozol (L) für 5 Jahre, b) Placebo (P) für 5 Jahre. Eine erste Interimsanalyse bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 2.4 Jahren hatte eine unerwartet starke Überlegenheit von L bezüglich krankheitsfreiem Überleben gezeigt, weshalb die Studie zu diesem Zeitpunkt vorzeitig entblindet wurde.
Wirksamkeit
Das krankheitsfreie 4-Jahres-Überleben betrug für L 93% gegenüber 87% für P (p = 0.00008), diese Verbesserung konnte sowohl für Patientinnen mit nodal-negativen als auch mit nodal-positiven Tumoren gezeigt werden. Die Reduktion der Mortalität war hingegen nicht signifikant (4-Jahres-Gesamtüberleben 96% für L, 94 % für P, HR 0.76, 95% CI 0.48 - 1.21, p = 0.25). Ein Update, das am ASCO 2004 vorgestellt worden ist, zeigte dann eine Verbesserung des Gesamtüberlebens für die Subgruppe mit nodal-positiver Erkrankung.
Toxizität
Subjektiv war L gut verträglich, es kam nicht signifikant häufiger zu Therapieabbrüchen als unter P (4.5% vs. 3.6%). Zu Wallungen kam es in 47.2% (P 40.5%), zu vaginalen Blutungen in 4.3% (P 6.0%), zu Arthralgien in 21.3% (P 16.6%). Osteoporose war unter L tendenziell häufiger (5.8% vs. 4.5%, p = 0.07). Kardiovaskuläre Ereignisse waren nicht signifikant gehäuft unter L (4.1 vs. 3.6%).
Zusammenfassung Wirksamkeit
Zusammenfassend kann bezüglich Wirksamkeit der AI gesagt werden, dass diese in allen Studien für das krankheitsfreie Überleben gegenüber Tamoxifen (oder gegen Placebo nach 5-jähriger Tamoxifentherapie) besser waren, hingegen bisher nur für die verlängerte endokrine Behandlung nach 5 Jahren Tamoxifen ein signifikanter Überlebensvorteil nachgewiesen werden konnte (und auch dies nur für die Subgruppe der Frauen mit nodal-positiver Erkrankung).
Zusammenfassung Toxizität
Die Verträglichkeit ist subjektiv bei den AI im Allgemeinen etwas besser als bei Tamoxifen, insbesondere wegen weniger häufigem Auftreten von Wallungen und vaginalen Blutungen. Hingegen kommen unter AI Gliederschmerzen etwas häufiger vor. Bezüglich der potentiell bedrohlichen Nebenwirkungen haben die AI einen Vorteil bei den venösen thromboembolischen Ereignissen. Es bestehen aber Hinweise auf eine geringfügige Häufung tödlicher ischämischer kardiovaskulärer Ereignisse (möglicherweise aufgrund eines ungünstigen Einflusses auf das Lipidprofil). Andererseits kann die erhöhte Inzidenz von Endometriumkarzinomen unter Tamoxifen bei den AI nicht beobachtet werden. Ein Problem ist der ungünstige Einfluss der AI auf die Knochendichte. Die Tatsache, dass die Frakturrate nicht in allen der obigen Studien signifikant erhöht ist, mag aufgrund der kurzen Nachbeobachtungsdauer nicht zu beruhigen. Langzeitsicherheitsdaten bestehen für AI (im Gegensatz zu Tamoxifen) nicht.
Wertung der Evidenz
Der etwas besseren Wirksamkeit und der insgesamt recht guten subjektiven Verträglichkeit der AI stehen drei Probleme gegenüber:
- Über die Langzeittoxizität weiss man noch kaum etwas. Sicherheitsbedenken bestehen bezüglich des Knochens, der kardiovaskulären Mortalität und der kognitiven Funktion.
- Der optimale Einsatz der AI in der adjuvanten Situation ist nicht bekannt: es fehlen derzeit die Daten, um zu entscheiden, ob «up-front» ein AI gegeben werden soll (wie in ATAC oder BIG-1-98), oder besser nach 2-3 Jahren Tamoxifen (wie in IES oder Arm C von BIG-1-98) oder vor Tamoxifen (wie in Arm D von BIG-1-98) oder nach 5 Jahren Tamoxifen (wie in MA .17). Zudem ist die optimale Dauer von L nach 5 Jahren Tamoxifentherapie nicht bekannt.
- Ausserdem sind die Kosten der AI gegenüber Tamoxifen erheblich höher.
Was tun?
Bis die oben angeführten Fragen durch weitere Studienresultate beantwortet sind, kann die Therapiewahl durch die Risikosituation geleitet werden: bei hohem Rezidivrisiko ist die Wirksamkeit der Behandlung entscheidend, bei tiefem Rezidivrisiko bekommt das Nebenwirkungsprofil eine grössere Bedeutung. In Anlehnung an die Diskussion des Panels der St. Gallen Konsensuskonferenz 2005, lässt sich folgende Vorgehensweise ableiten:
Für die «up-front»-Situation
Ein primärer Einsatz von AI (A oder L, wobei in der Schweiz für diese Indikation zurzeit erst A registriert ist)
- muss bei Kontraindikationen für Tamoxifen (Anamnese von Thromboembolien, Apoplexien, Endometriumkarzinom) empfohlen werden.
- soll bei hohem Rezidivrisiko erwogen werden.
- kann bei zweifelhafter Hormonabhängigkeit des Tumors erwogen werden.
AI sollen beim Vorliegen einer Osteoporose (über die Knochenqualität unter gleichzeitiger langfristiger Gabe von Bisphosphonaten liegen noch keine genügenden Daten vor) vermieden werden.
Nach 2-3 Jahren Tamoxifen
Ein Wechsel auf E soll erwogen werden für Patientinnen mit hohem Rezidivrisiko (wobei in der Schweiz E für die adjuvante Indikation noch nicht registriert ist).
Nach 5 Jahren Tamoxifen
Eine anschliessende Gabe von L soll für Patientinnen mit hohem Rezidivrisiko empfohlen werden (L ist dafür in der Schweiz registriert). Allerdings ist die optimale Dauer dieser Therapie nicht bekannt, vorerst soll eine Behandlung von 2.5 Jahren Dauer angestrebt werden. Aufgrund der Komplexität der Entscheidungen und der sich schnell entwickelnden Datenlage ist es sinnvoll, die Patientinnen zu Beginn der adjuvanten endokrinen Therapie und nach 2-3 oder 5 Jahren Tamoxifen einem Spezialisten (medizinischer Onkologe oder Gynäkologe mit onkologischem Schwerpunkt) zur Diskussion der Vor- und Nachteile aller Therapieoptionen zuzuweisen. Die Titelfrage «Aromatasehemmer für alle?» möchte ich umformulieren zu einer Aufforderung: Möglichkeit für ein Beratungsgespräch über Aromatasehemmer für alle!
Dr. med. Andreas Müller, Oberarzt, Fachbereich Onkologie/Hämatologie und Senologiezentrum Ostschweiz, Kantonsspital St.Gallen.
Quellen 1. Lancet 2002;359:2131-39, Cancer 2003;98:1802-10, Lancet 2005;365:60-62. 2. http://www.ibcsg.org/public/documents/pdf/meeting_05/Abstract.pdf 3. New England Journal of Medicine (NEJM) 2004;350:1081-1092. 4. NEJM 2003;349:1793-1802, ASCO Annual Meeting Proceedings 2004; #847.
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04.04.2005 - dde |
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