Homozystein und Herzkreislauferkrankungen
In Europa sterben jährlich etwa 4 Mio. Menschen an Herzkreislauferkrankungen bzw. an deren Komplikationen, wie Herzinfarkt, Hirnschlag, periphere Durchblutungsstörungen oder venösen Thrombosen. Volkswirtschaft und Gesundheitswesen werden durch gewaltige Kosten für Diagnose und Behandlung der Gefässerkrankungen, Arbeitsausfall und Invaliditätsrenten belastet, besonders unter dem Aspekt einer raschen Zunahme der älteren Bevölkerung. Nach dem heutigen Verständnis ist die Atherosklerose eine in Schüben verlaufende, chronische Erkrankung. Sie ist häufig bereits im jugendlichen Alter nachzuweisen und sollte deshalb bei gefährdeten Personen einer frühzeitigen, effizienten Prophylaxe zugänglich gemacht werden. Das Aufspüren und die rechtzeitige Identifizierung von kardiovaskulären Risikofaktoren wird deshalb ab dem 20. Lebensjahr gefordert, währenddem mit dem 40. Lebensjahr jeder das absolute individuelle Risiko kennen sollte.
Die Hyperhomozysteinämie als unabhängiger Risikofaktor für Herzkreislauferkrankungen wird für etwa 10% des Gesamtrisikos verantwortlich gemacht. Durch Senkung eines erhöhten Homozysteinspiegels könnten bis zu 25% der kardiovaskulären Ereignissen vermieden werden. Deshalb wird zunehmend die Bestimmung und Behandlung von erhöhten Homozysteinwerten bei Hochrisikogruppen gefordert.
Homozystein ist ein wichtiger Baustein im Metabolismus von Methionin, einer essentiellen Aminosäureverbindung (s. Abbildung 1). Erhöhte Homozysteinwerte sind häufig in der Schweizer Bevölkerung und sind entweder Folge eines genetischen Polymorphismus mit verminderter Metabolisierung von Folsäure (= Vitamin B9) oder ungenügender Aufnahme mit der Nahrung [1-5]. Durch den industriellen Anbau von Nahrungsmitteln haben in den letzten Jahren die Vitaminkonzentrationen kontinuierlich abgenommen. Dies wirkt sich gerade bei älteren Patienten oft verheerend aus. Als Folge der verminderten Vitaminaufnahme kommt es zu einer Abnahme der Metylierung und Transsulfurierung von Homozystein mit einem konsekutiven Anstieg im Blut. Die Metylierung von Homozystein erfolgt durch verschiedene Enzyme bei Vorhandensein von Tetrahydrofolsäure und Vitamin B12 (Co-Faktor). Die Transsulfurierung läuft bei Vorliegen von verschiedenen Enzymen und bei Vorhandensein von Vitamin B6 ab (s. Abbildung 1). Erhöhte Homozysteinwerte bewirken eine Störung der Endothelfunktion (= Gefässinnenschicht), welche von verschiedenen Autoren heute als frühe Form der Atherosklerose angesehen wird [4,5]. Ausserdem werden vermehrt Sauerstoffradikale gebildet, welche mit einer verstärkten Bildung von oxidiertem LDL-Cholesterin verbunden ist. Diese werden von Schaumzellen in der Gefässwand aufgenommen und sind für das Auftreten von Gefässplaques und Gefässverengungen verantwortlich. Andere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Zigarettenrauchen, übermässiger Alkoholkonsum, Diabetes mellitus sind ebenfalls mit einem Anstieg des Homozysteinspiegels verbunden, wobei Stoffwechselerkrankungen wie Niereninsuffizienz, Malabsorption und Hypothyreose ebenso wichtige Ursachen für eine Hyperhomozysteinämie darstellen [2,3].
Homozystein und klinische Bedeutung
Als Normwerte für das Homozystein gelten heute Werte 10 µmol/L, bei Werten > 15 µmol/L besteht bereits ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko [4,6]. Ein erhöhter Homozysteinspiegel wurde mit folgenden Erkrankungen in Zusammenhang gebracht:
- 1. Endotheldysfunktion (Gefässwandschädigung)
- 2. Herzinfarkt
- 3. Schlaganfall
- 4. Periphere arterielle Verschlusskrankheit (z.B. Raucherbein)
- 5. Venöse Thrombosen (Blutgerinnsel) [7]
- 6. Depression [8]
- 7. Alzheimer-Krankheit [9]
Neben dem Homozystein spielt die Folsäure (Vitamin B9) selber eine wichtige Rolle im Stoffwechsel des Menschen. Verminderte Folsäurespiegel sind von entscheidender Bedeutung bei der Entstehung der megaloblastären Anämie. Folsäuremangel wurde bei Neugeborenen mit dem Auftreten eines Neuralrohrdefektes (Spina bifida) sowie verschiedenen Herzmissbildungen in Zusammenhang gebracht, welche bei 3-5 Kindern pro 1000 Geburten beobachtet werden können [3].
Durch Folsäuregabe 1 Monat vor der Konzeption sowie während den ersten 2 Monaten der Schwangerschaft kann das Risiko eines Neuralrohrdefektes um 70-90% gesenkt werden. Ein verminderter Folsäurespiegel wurde bei der Frau auch mit dem Auftreten von Brustkrebs und beim Mann mit dem Auftreten von Dickdarmkrebs in Verbindung gebracht, wobei durch rechtzeitige bzw. langjährige Folsäuregabe das Risiko an Brust- oder Dickdarmkrebs zu erkranken reduziert werden kann [10].
Der Zusammenhang zwischen Homozystein und Herzinfarkt bzw. kardiovaskulärer Mortalität ist schon lange bekannt [1]. Erste Studien (s. Abbildung 2) konnten eine direkte Abhängigkeit zwischen kardiovaskulärer Mortalität und Homozysteinspiegel nachweisen, wobei ein Homozystein von über 20 µmol/L mit einem fünfmal höheren Risiko verbunden ist, einen Herzinfarkt zu erleiden oder an einem kardiovaskulären Tod zu erliegen [1].
Im Rahmen der Swiss Heart Study konnten wir zeigen, dass der Homozysteinspiegel mit der Prognose und dem Verlauf nach Koronarintervention verbunden ist, indem ein Homozysteinspiegel von > 12 µmol/L mit einer Verdreifachung des kardiovaskulären Risikos verbunden war (s. Abbildung 3) [11].
Weiter konnten Herrmann und Mitarbeiter bei 127 älteren deutschen Patienten (mittleres Alter 82 Jahre) zeigen, dass etwa bei 3/4 dieser Patienten das Homozystein über 12 µmol/L erhöht ist [13]; Bei 1/4 der Patienten sind die Serumfolsäurespiegel erniedrigt (s. Abbildung 4). Diese Befunde weisen darauf hin, dass jeder dritte Patient über 69 Jahre an einer Hyperhomozysteinämie leidet, welche wahrscheinlich auf eine verminderte Zufuhr dieser wichtigen B-Vitamine zurückzuführen ist.
Ein erhöhter Homozysteinspiegel wurde auch bei Patienten mit Alzheimer Erkrankung beobachtet [9], wobei im Vergleich Patienten mit den höchsten Homozysteinspiegeln fast doppelt so häufig eine Alzheimer Erkrankung entwickeln als Patienten mit einem nur gering erhöhten Homozysteinwert (s. Abbildung 5).
Behandlung der Hyperhomozysteinämie
Bei der Behandlung der Hyperhomozysteinämie muss zwischen Personen mit niedrigem Risikoprofil (Prophylaxe) und Patienten mit manifester Gefässerkrankung (Therapie) unterschieden werden. Generell kann gesagt werden, dass eine bessere Versorgung mit Folsäure von Nutzen ist, vor allem für Frauen im gebärfähigen Alter sowie bei älteren Personen, aber auch bei Patienten mit Nieren- und Schilddrüsenerkrankungen, Malabsorption, venösen Thrombosen, usw. Zur Zeit laufen mehrere klinische Studien, welche die Wirkung einer Vitaminkombination mit B6, B9 und B12 auf die kardiovaskuläre Mortalität untersucht, z.B. bei Gesunden mit erhöhtem kardiovaskulärem Risikoprofil und besonders bei Gefässpatienten.
Bei Patienten mit manifester Gefässerkrankung bzw. bei Hochrisikopatienten ist eine konsequente Behandlung der Hyperhomozysteinämie angezeigt. Homozysteinwerte über 10 µmol/L sind behandlungsbedürftig, wobei bei polymorbiden Patienten auch Nieren- und Schilddrüsenfunktionsstörungen als Ursache der Homozysteinerhöhung ausgeschlossen werden sollten [4].
Derzeit empfehlen wir folgende Dosierung: Vitamin B6: 10 mg, Vitamin B9 (= Folsäure): 1 mg, Vitamin B12: 0.4 mg [6]. Es sind verschiedene Vitaminprodukte auf dem Markt, bei denen aber diese B-Vitamine in der Regel unterdosiert sind. Um einen ausreichenden Effekt zu erzielen sollten diese 3 Vitamine in den angegebenen Konzentrationen verabreicht werden, da zur Vermeidung eines relativen Folsäuremangels «Folatfalle» die gleichzeitige Gabe von Folsäure und Vitamin B12 (= Co-Faktor) wichtig ist. Die Gabe von Vitamin B6 unterstützt die Transsulfurierung von Homozystein und wirkt deshalb senkend auf den Homozysteinspiegel. Genaue Dosierungsempfehlungen sind von der DACH-Liga gegen das hohe Homozystein ausgearbeitet und publiziert worden [4].
Schlussfolgerungen
Hyperhomozysteine sind häufig bei Patienten mit Gefässerkrankungen und stellen einen wichtigen kardiovaskulären Risikofaktor für das Auftreten von Herz- und Hirninfarkt, aber auch von venösen Thrombosen und peripheren Verschlusskrankheiten dar. Eine Senkung des Homozysteins auf < 10 µmol/L bei diesen Patienten ist von grosser Bedeutung und kann mit einer 3er Vitaminkombination von Vitamin B6, B9 (Folsäure) und B12 erreicht werden. Da die Aufnahme dieser Vitamine mit der Nahrung häufig ungenügend ist, ist eine Ergänzung der Nahrung mit Vitaminpräparaten sinnvoll für alle Gefässpatienten und daher zu empfehlen. Da es sich um wasserlösliche Vitamine handelt, ist die Gefahr einer Akkumulation gering.
Prof. Dr. med. Otto M. Hess, Schweizer Herz- und Gefässzentrum Bern, Universitätsklinik Inselspital, Bern.
Literatur 1. Nygard O, Nordrehaug JE, Refsum H, Ueland PM, Farstad M, Vollset SE. Plasma homocysteine levels and mortality in patients with coronary artery disease. N Engl J Med 337:230-237, 1997. 2. Homocysteine Lowering Trialists’ Collaboration. Lowering blood homocysteine with folic acid based supplements: meta-analysis of randomized trials. BMJ 316:894-898, 1998. 3. Baerlocher K, Eichholzer M, Lüthy J, Moser U, Tönz O. Folsäure:Expertenbericht der Eidgenössischen Ernährungskommission zur Prophylaxe von Neuralrohrdefekten. Bundesamt für Gesundheit, Bern, 2002. 4. Stanger O, Herrmann W, Pietrzik K, Fowler B et al. Konsensuspapier der DACH-Liga Homocystein e.V. J Kardiol 10:190-199, 2003. 5. Wald DS, Law M, Morris JK. Homocysteine and cardiovascular disease: evidence on causality from a meta-analysis. Brit Med J 325:1202-1206, 2002. 6. Schnyder G, Roffi M, Pin R, Flammer Y, Lange H, Eberli FR, Meier B, Turi ZG, Hess OM. Decreased rate of coronary restenosis after lowering of plasma homocysteine levels. N Engl J Med 345:1593-1600, 2001. 7. Quéré I, Pernegger TV, Zittoun J, Bellet H et al. Red blood cell methylfolate and plasma homocysteine as risk factors for venous thromboembolism: a matched case-control study. Lancet 359:747-752, 2002. 8. Alpert JE, Fava M. Nutrition and depression: the role of folate. Nutr Rev 55:145-149, 1997. 9. Seshadri S, Beiser A, Selhub J et al. Plasmahomocysteine as a risk factor for dementia and Alzheimer disease. 10. Tönz O. Praktische Umsetzung der Folsäureprophylaxe. Aktuelle Probleme und Empfehlungen. Gynäkologie (Ars Medici) 5:6-10, 2003. 11. Schnyder G, Roffi M, Flammer Y, Pin R, Hess OM. Effect of homocysteine-lowering therapy with folic acid, Vitamin B12 and Vitamin B6 on clinical outcome after percutaneous coronary intervention. The Swiss Heart study: a randomised controlled trial. JAMA 28:973-979, 2002.
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