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EAU 2006 (Urologie)

Vom 5-8. April 2006 hat in Paris der Europäische Urologenkongress stattgefunden. Wir berichten hier über Aktuelles aus der Urologie zu: Prostatakarzinom, Nierenzellkarzinom, Urothelkarzinom der Blase, Prostatahyperplasie und Erektile Dysfunktion.

EAU 2006 in Paris

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Prostatakarzinom

Ätiologie

Während Prof. E. Klein aus Cleveland über die Möglichkeit einer Virus-Induktion berichtete (Mutation im Anti-Virus-Gen RNaseL; in den USA bei ca. 15% der Prostatakarzinome zu finden) beleuchtete die britische Gruppe um N. Ragavan die Umwelteinflüsse in indirekter Weise. Hierbei wurden Karzinome in der Familie der Patienten untersucht. Bei 15% der Tumorpatienten zeigte sich bezogen auf die Prostata, eine positive Familienanamnese. Die ehemaligen Partnerinnen der Tumorpatienten entwickelten in einem signifikant höheren Masse Brust- und Lungenkarzinome. Für die aktuellen Partnerinnen konnte dieses Phänomen nicht gezeigt werden. Diese Beobachtungen werden durch die Autoren auf Ernährungsgewohnheiten sowie den Nikotin- und Alkoholkonsum zurückgeführt in der Annahme, dass die Patienten und ihre Partner gleichen Bedingungen ausgesetzt waren. Protektiv wirksam, durch Induktion einer Tumorzellapoptose, scheinen Grüntee-Extrakte (Katechine) zu sein. Hierzu bestehen aber nur kurze Beobachtungen durch Betuzzi und Doumerc. Mittelfristige und Langzeitergebnisse stehen aus.

 

Screening

Zur Detektion des Prostatakarzinomes gilt weiterhin die Kombination aus PSA-Wert und der digital-rektalen Palpation, mit folgender Biopsie bei Auffälligkeiten, als sicherste Methode. Es besteht jedoch ein Dilemma. Der Medizin steht zwar mit dem PSA-Wert der «beste bislang identifizierte Tumormarker» (Prof. Abrahamson) zur Verfügung. Es werden jedoch immer mehr Karzinome entdeckt, welche als nicht signifikant, das heisst nicht terminierend, eingeschätzt werden müssen. Neue Marker sind derzeit nicht in Sicht. Bei der Interpretation zeigen sich jedoch verschiedene Möglichkeiten auf:

 

Zur Diskussion steht zum Beispiel der Cut-off-Wert des PSAs, ab dem eine Biopsie zur Sicherung der Diagnose empfohlen werden soll. Der klassische Grenzwert von 4 µg/l wird zunehmend verlassen und durch Werte von 2.5 µg/l bis 3 µg/l ersetzt (z.B. Müntener M.). Das Ziel ist, signifikante Karzinome möglichst frühzeitig zu detektieren, damit eine kurative Therapie mit gutem Ergebnis, onkologisch und bezogen auf die Lebensqualität (v.a. Kontinenz, Potenz), erreicht werden kann.

 

Zwangsläufig werden dadurch vermehrt auch nicht signifikante Karzinome entdeckt. Arzt und Patient sollte in dieser Situation bereits vorher klar sein, dass die Diagnose «Krebs» nicht zwangsläufig zu einer interventionellen Therapie führt. Zur weiteren Interpretation der Ergebnisse stehen verschiedenste Nomogramme zur Verfügung. Auch wenn die Aussagekraft teilweise eingeschränkt ist, zeigen Vergleichsstudien verschiedener Nomogramme, dass die Kattan-Tabellen noch die beste Vorhersage abgeben (Currlin, Hamburg).

 

Ein Hauptproblem der Nomogramme ist die aktuell bestehende Verschiebung des Gleason-Score zu einem niedrigeren Differenzierungsgrad. Wurden zwischen 1991 und 1995 noch 63% aller Prostatakarzinome mit einem Gleason-Score < 6 beurteilt, so verringerte sich deren Anteil 10 Jahre später (2001-2005) auf 40.8%. Die Gleason 3+4=7 Tumore nahmen im gleichen Intervall von 15.3% auf 29.3% zu, die Gleason 4+3=7 von 5.7% auf 17.4%. Der Anteil der Tumore mit einem Score Ž 8 zeigen einen ondulierenden Verlauf zwischen 10% und 15%. Eine erneute Beurteilung alter Biopsien zeigte genau in dem interessanten Bereich eine Verschiebung. Was vor mehreren Jahren als Gleason-Score 4, 5 und 6 beschrieben wurde gilt heute als Gleason-Score 6 und 7. Dies erklärt die veränderte Verteilung des Differenzierungsgrades beim Prostatakarzinom. Durch diesen Effekt wird letztlich auch die Aussagekraft der Nomogramme verändert, da hierfür die alten Daten zu Grunde lagen.

 

Therapie

Erfüllt ein Patient die Kriterien für eine «watchful-waiting»-Therapie in kurativer Intention oder «active surveillance» (Alter > 65 oder Lebenserwartung unter 10-15 Jahren, cT < 2; Gleason < 6; PSA < 10) kann im Weiteren durch Berechnung der PSA-Verdoppelungszeit (online unter http://www.mskcc.org/mskcc/html/10088.cfm) und der PSA-Kinetik evaluiert werden, ob sich ein signifikantes Karzinom entwickelt oder nicht. Bei einer Verdopplungszeit über zwei Jahren oder einem PSA-Anstieg unter 0.75 µg/l pro Jahr, kann von einem nicht signifikanten Befund ausgegangen werden.

 

Therapeutisch stehen neben der «watchful-waiting»-Therapie, der Brachytherapie, der externen Bestrahlung und den operativen Massnahmen derzeit keine validierten Methoden zur Verfügung. Überzeugende Langzeitergebnisse der Thermo-, Kryo- oder HIFU-Therapie (high intensity focused ultrasound) liegen nicht vor.

 

Von Seiten der zur Verfügung stehenden Operationsmethoden geht der Trend ungebrochen zu den minimal-invasiven Techniken mit extraperitonealem Zugang (klassisch mit sprachgesteuerter Kamera, roboterassistiert mittels daVinci).

 

Immer mehr Arbeitsgruppen befassen sich mit der erweiterten Lymphadenektomie, teilweise im Rahmen einer radioaktiven Markierung zur Identifikation der Sentinel-Lymphknoten. Ziel ist ein längeres rezidivfreies Intervall zu erhalten (z.B. Echtle und Kollegen, Karlsruhe). Ob sich hiermit auch ein längeres Überleben erreichen lässt, bleibt weiterhin fraglich. Aus der steigenden Anzahl der Studien lässt sich jedoch ein Trend zur erweiterten Lymphadenektomie ableiten.

 

Mombert und Kollegen evaluierten die erektile Funktion nach radikaler Operation und frühzeitiger oraler Medikation. Die Wahrscheinlichkeit für eine postoperativ erhaltene Sexualfunktion steht in engem Zusammenhang mit der präoperativ angegebenen sexuellen Aktivität. Diese wurde anhand des «International Index of Erectile Function» (IIEF) Scores ermittelt. Sexuell aktive Patienten (IIEF Ž 20) können hiernach bei frühzeitigem Einsatz von oralen PDE-5-Hemmern mit Potenzraten bis über 90% nach 2 Jahren rechnen.

 
 

Nierenzellkarzinom

Für die Therapie der Nierenzellkarzinome wurden die EAU-Guidelines nun angepasst. Für Tumore < 4 cm (Stadium T1a) gilt die Nierenteilresektion als Standard (Primär: offene Operations-Technik, je nach Zentrum ist die laparoskopische oder retroperitoneoskopische Technik vorzuziehen).

Bei Tumoren im Stadium T1b-T2 (auf die Niere begrenzt) gilt die laparoskopische oder retroperitoneoskopische Nephrektomie als Gold-Standard. In Einzelfällen kann bei genügend Erfahrung der Klinik auch eine Teilresektion durchgeführt werden. Alle anderen Stadien sollten primär offen nephrektomiert werden. Auch hier kann je nach Befund in Einzelfällen minimal-invasiv operiert werden.

 

Nach wie vor in Diskussion steht die nierenschonende Nierenteilresektion bei Tumoren unter 4 cm. Mehrere Studien kamen hier zu gleichen Ergebnissen. Bei ca. 10% Komplikationen zeigen sich nach 5 Jahren unter 5% Rezidiv-Tumore. Dies sind Ergebnisse, welche auch bei der Nephrektomie erwartet werden.

 

Beim lokal fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom ist bislang die Operation die einzige prognostisch wirksame Therapiemöglichkeit. Bei einem Rezidiv sind die therapeutischen Möglichkeiten begrenzt. Neben chirurgischen Massnahmen bei einzelnen Metastasen wurden Chemotherapien (nur mässiger Erfolg) sowie Interferon- und Interleukin-Therapien versucht. Seit zwei Jahren besteht die Möglichkeit einer Angiogenese-hemmenden Therapie (Avastin®). Hier zeigt sich eine Unterdrückung und Stabilisierung des Tumorwachstums durch Blockierung der VEGF-Wirkung (Gefässneubildung). Neu sind nun Medikamente, welche ebenfalls die VEGF-Wirkung blockieren, oral verfügbar (Nexavar®). Erste Studien zeigen eine Verlängerung des progressionsfreien Intervalls. Spezifische Empfehlungen, wann diese Medikamente zum Einsatz kommen sollen, existieren nicht.

 
 

Urothelkarzinom der Blase

Neu ist nun auch beim Blasenkarzinom ein Nomogramm erhältlich, welches über die Wahrscheinlichkeit eines Progresses oder Rezidivs Aussagen machen kann. Einschränkend gilt hier, dass die Daten noch von Patienten aus der Zeit vor den Instillationstherapien (Farmorubicin, OncoTice) stammen. Das Nomogramm gibt also eher schlechtere Werte an. Wichtige Parameter sind hierbei die Lokalisation des Tumors, die Anzahl und das gleichzeitig vorhandene Carcinoma in situ (online unter: http://www.eortc.be/tools/bladdercalculator/download_disclaimer.htm).

 

Eine interessante prospektive Studie an 212 Patienten zur Instillationsprophylaxe bei T1-G3-Tumoren zeigte einen Vorteil der Kombination Mitomycin-C und BCG-Instillation gegenüber BCG-Instillationen alleine (Di Stasi S.M.). Bei einem Follow-up von über 6 Jahren fand sich bei der BCG-Gruppe ein Progress in 21.9% (nach durchschnittlich 16 Monaten) und Rezidive bei 58.1% (nach durchschnittlich 21 Monaten). Dies gegenüber 9.4% Progress nach durchschnittlich 37 Monaten und 42.1% Rezidiven (nach 69 Monaten) bei der kombinierten Gruppe. Ebenso zeigte sich ein signifikanter Unterschied in der krankheitsbezogenen Mortalität von 16.2% zu 5.6%.

 

Auch für die Zystektomie wird zunehmend ein laparoskopisches Operationsverfahren propagiert. Teilweise mit extrakorporal gebildetem Pouch, teilweise wird dieser Operationsschritt auch intrakorporal durchgeführt. Ein offensichtlicher Vorteil entsteht durch die laparoskopische Operationsmethode nicht, weshalb die Langzeitergebnisse abgewartet werden müssen.

 

Volkmer aus Ulm präsentierte eine retrospektive Studie zur Wahl des richtigen Zeitpunktes der Zystektomie bei pT1G3-Blasentumoren. Patienten, welche frühzeitig operiert wurden, zeigten ein besseres und längeres rezidivfreies Überleben als Patienten, welche erst bei einem Rezidiv operiert wurden. Einschränkend muss jedoch bemerkt werden, dass bei den Patienten die heute nahezu übliche BCG-Instillations-Therapie nicht durchgeführt wurde. Die Aussage bleibt somit fraglich.

 
 

Prostatahyperplasie

Prostatahyperplasie-begünstigend wirken hohe Insulinwerte, hohe Östrogenwerte und eine Adipositas (Hammarsten J.). Zusammengenommen passt dies gut zum Wohlstandssyndrom X.

 

In der Therapie der obstruktiven Miktionsstörung, bei gleichzeitig vorliegender leichten erektilen Dysfunktion, halten die PDE-5-Hemmer (Cialis®, Viagra®) neben den a-Blockern nun Einzug. Hierbei zeigte sich im Doppel-Blind-Versuch nicht nur eine positive Wirkung bei der erektilen Dysfunktion, sondern auch bezüglich der Symptome der obstruktiven Miktionsstörung (Mc Vary K., Kaplan S.A.). Eine Verbesserung des Uroflows durch PDE-5-Hemmer konnte nicht nachgewiesen werden.

 

Bei grossem Prostata-Volumen (> 40 g) kann bei einem Wirkungsverlust der a-Blocker zusätzlich noch ein 5a-Reduktase-Hemmer gegeben werden. Dies sollte allerdings Patienten vorbehalten bleiben, die entweder ein zu hohes Operationsrisiko haben oder eine Operation ablehnen. Eine Monotherapie mittels 5a-Reduktase-Hemmer verbessert die Symptome oder den Harnfluss nicht, sondern verringert nur das Prostatavolumen. Eine, wenige Wochen vor einer Operation etablierte, Therapie bei grossem Volumen ist zur Verringerung der Blutungskomplikation zu empfehlen.
Keine Veränderung ergibt sich bei der Aussage bezüglich der zu wählenden Operationsmethode. Die klassische TUR-P, auch in bipolarer Technik, bildet nach wie vor den Gold-Standard.

 

Sollte eine Katheterableitung notwendig sein, konnte Desgrandchamps zeigen, dass der transurethrale Katheter zu weniger Blutungen und Verstopfungen führt sowie häufig besser einzulegen ist, als diesuprapubische Harnableitung. Diese zeigte dafür eine geringere Rate an Urinverlust. Bezogen auf die Bakteriurie zeigte sich keine der Varianten im Vorteil. Zu einer Urosepsis kam es ebenfalls mit gleicher Wahrscheinlichkeit.

 
 

Erektile Dysfunktion

Da die erektile Dysfunktion häufig mit einer Gefässschädigung einhergeht und prinzipiell die gleichen Mechanismen wie bei der koronaren Herzkrankheit bestehen, lag die Vermutung nahe, dass die erektile Dysfunktion ein Vorbote eines drohenden kardialen Ereignisses sein könnte.

 

Zu diesem Thema gab es mehrere Studien. Dubosq und Kollegen führten an 103 Patienten, welche sich auf Grund einer ED ohne bekannte kardiale Problematik vorstellten und nicht mehr als zwei zusätzliche Risiken für eine koronare Herzkrankheit hatten, zusätzliche kardiologische Abklärungen durch. Hierbei fanden sich bei 25% der Patienten relevante, bislang nicht auffällige Stenosen der Koronarien. Daraus lässt sich folgern, dass alle ED-Patienten mit Prädisposition für eine koronare Schädigung kardiologisch beurteilt werden sollten.

 
 

 

Dr. med. Jan Birzele, Assistenzarzt, Urologische Klinik, Universitätsspital Zürich

Medizin Spektrum

07.06.2006 - dde

 
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