EAU 2005 (Urologie)
Vom 16.3. bis am 19.3. fand in Istanbul das jährliche Meeting der EAU (European Association of Urology) 2005 statt: Berichtet wird hier über die Themen Prostatakarzinom, Benigne Prostatahyperplasie (BPH), Nierenzellkarzinom, Blase, Inkontinenz, Urolithiasis und Erektile Dysfunktion
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EAU 2005, Istanbul | |
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Die Autoren dieser Kurzberichterstattung haben auf die Aktualitäten folgender Themen fokussiert:
Prostatakarzinom
Bei der Diagnostik des Prostatakarzinoms zeigt sich nach wie vor die Kombination aus PSA-Wert bzw. Verlauf und digital-rektaler Palpation sowie Biopsie bei Auffälligkeiten am effektivsten. Andere bildgebende Verfahren und laborchemische Parameter werden weiterhin kritisch betrachtet.
Der Zusammenhang zwischen dem PSA-Wert und dem Risiko einer Karzinomentstehung wurde durch die schwedische Gruppe um J. Hugosson aus Göteborg untersucht. Als Empfehlung dieser Studie mit 5855 Patienten über 8 Jahre gilt, dass PSA Werte unter 1 ng/mL ein sehr geringes Risiko zeigen und im 3-Jahresintervall nachkontrolliert werden können. Werte über 2 ng/mL sind mit einem deutlichen Risiko zur Karzinomentwicklung verbunden und sollten daher jährlich kontrolliert werden (PSA zwischen 2.0 und 2.49: 21.8%; 3.0-3.99: 33.3%).
Die Ergebnisse des histologischen Gradings der Biopsie in Abhängigkeit der Anzahl der Stanzen und des Resektionspräparates wurde durch eine Innsbrucker Gruppe über 12 Jahre mit insgesamt 843 Patienten verglichen. Hierbei zeigt sich, dass das Overgrading relativ unabhängig von der verwendeten Stanzenzahl ist (13-18%). Jedoch nimmt der Anteil der exakten Vorhersagen mit zunehmender Stanzenzahl zu (6: 34% - 10: 43% - 15: 51%) und damit der Anteil der als höher differenziert beurteilten Karzinome stark ab.
Diese Ergebnisse müssen vor allem bei der Diskussion um nicht-signifikante Prostatakarzinome berücksichtigt werden, für die eine «watchful waiting» Therapie zur Diskussion steht. So haben sich mehrere kleinere retrospektive Studien damit beschäftigt, den Anteil der Patienten zu bestimmen, bei denen aufgrund der propagierten Grenzen (T < 2; Gleason < 6; PSA < 10) ein signifikantes Karzinom verpasst worden wäre. Bei allerdings sehr kleinen Fallzahlen zeigten sich hierfür Werte bis 40%, weswegen die Autoren vermehrt ein aggressives Vorgehen propagieren.
Die Hauptvorträge zum Thema Prostatakarzinom beim diesjährigen EAU-Kongress beschäftigten sich vor allem mit operativen Fragen. So berichtete Prof. Costello aus Melbourne über die Möglichkeiten zur Verbesserung der postoperativen erektilen Funktion durch Einsatz von künstlichen Leitschienen zur Nervenregeneration am Plexus pelvicus. Gemäss seinen Untersuchungen treten dort trotz nervenschonender Operationsweise neurogene Schäden auf, die in Kombination mit zusätzlich vaskulären Schäden durch die Operation zu einer erektilen Dysfunktion führen. Inwieweit diese künstlichen Leitschienen allerdings beim Einsatz am Menschen zu einem Erfolg führen bleibt abzuwarten.
Prof. Studer (Bern) und Prof. Huland (Hamburg) waren die Protagonisten der Diskussion um die Notwendigkeit einer ausgeweiteten Lymphadenektomie bei der radikalen Prostatektomie. Die Studien hierzu zeigen, dass bei erweiteter Lymphadenektomie der Anteil der N+ Stadien zunimmt. Während Prof. Studer hieraus folgerte, dass mit der erweiterten Operation ein höherer Anteil an kurativen Operationen erfolgen kann sowie sich die rezidivfreie Zeit verlängert, konterte Prof. Huland, dass dies im Langzeitverlauf nicht bewiesen sei und nicht bewiesen werden könnte und sich durch die erweiterte Operation, verglichen mit dem möglicherweise bestehenden positiven Effekt, ein unverhältnismässig viel höheres Risiko schwerer Komplikationen ergibt.
Benigne Prostatahyperplasie (BPH)
Die Hauptsymptome der benignen Prostatahyperplasie sind laut einer europaweiten Umfrage aus England bei 66% eine erhöhte Miktionsfrequenz und Nykturie sowie bei ca. 50% ein abgeschwächter Harnstrahl. Ein Drittel der Patienten schreibt diese Symptome einem Krebsleiden zu. Von den Patienten die nicht sofort nach Auftreten der Beschwerden einen Arzt konsultierten, glaubte ein Viertel, dass es sich bei ihren Symptomen um eine normale Alterserscheinung handle, 75% wollten zuerst den Verlauf abwarten. Dies zeigt, dass weitere Aufklärung bei diesem häufigen Krankheitsbild notwendig ist.
Zu den weiteren Risikofaktoren für eine Prostatahyperplasie ist nun das Metabolische Syndrom hinzugekommen. Gemäss den Autoren aus Ankara haben diese Patienten eine doppelt so grosse jährliche Zunahme des Prostatavolumens verglichen mit Patienten, die nicht mindestens zwei der Einschlusskriterien (Typ II Diabetes, Adipositas (BMI Ž 30 kg/m2), Dislipidämie (Triglycerid Ž 150 mg/dL), arterielle Hypertonie) erfüllen. Ursächlich hierfür wird der erhöhte Insulinwert bei diesen Patienten gemacht. Eine Aussage über die klinische Relevanz unterbleibt jedoch, da keine Angaben über die Beschwerden und ihren Verlauf gemacht wurden.
Einen Einfluss auf die Symptomatik, erhoben anhand des IPSS-Scores, wurde für den Einsatz von Serenoa repens (Permixon®) nachgewiesen. Eine Studie an über 700 Patienten zeigte nach 6 Monaten eine signifikante Abnahme des durchschnittlichen IPSS-Wertes um 2,4 Punkte, wohingegen keine Veränderung bei den Patienten des Kontrollkollektivs beobachtet werden konnte. Andere Medikamente (z.B. a-Block-er) zeigen eine wesentliche stärkere Verminderung des IPSS-Wertes, sind aber auch vermehrt mit Nebenwirkung verbunden.
Die Operation mit dem geringsten Rezidivrisiko ist die offene Prostataadenomenukleation nach Millin. Aufgrund des grösseren operativen Eingriffs wurde sie in den letzten Jahren nur noch bei sehr grossem Prostatavolumina durchgeführt. Erste Erfahrungen über laparoskopisch-unterstützte Techniken liegen jetzt vor. Ob sich hieraus ein neuer Trend entwickelt bleibt abzuwarten. Standardoperation bei der benignen Prostatahyperplasie ist nach wie vor die TUR-P. Neuere transurethrale Techniken mit Mikrowellen- und Laserablation zeigen bis jetzt keine besseren Langzeitergebnisse, sind jedoch aufgrund des geringeren peri- und postoperativen Blutverlustes interessant. Ob sie sich gegen die etablierte Technik weiter durchsetzen werden bleibt ebenfalls abzuwarten.
Ein geringerer peri- und postoperativer Blutverlust kann jedoch auch mit einer vier Wochen dauernden präoperativen Finasterid-Therapie erreicht werden. Hierzu zeigten zwei randomisierte und Placebo kontrollierte Studien aus dem Iran und der Türkei signifikante Ergebnisse. Gemäss der griechischen Gruppe um C. Deliveliotis lässt sich die Abnahme der Mikrogefässdichte auf eine Verminderung der VEGF und HIF-1a Expression durch Finasterid zurückführen. Interessant dürfte dies nicht nur aus ökonomischen Gründen sein. So könnte das Risiko einer verlängerten Hospitalisationszeit und eventueller Bluttransfusionen und damit der Morbidität durch diese einmonatige Vorbehandlung, zumindest bei Risikopatienten, vermindert werden.
Nierenzellkarzinom
Auch in diesem Jahr gab es mehrere Arbeiten, die die Wirksamkeit der partiellen Nephrektomie bei Tumoren bis zu einer Grösse von etwa 4 cm belegten, dies sowohl auf dem laparoskopischen Zugangsweg wie auch bei der offenen Teilresektion. Im Vergleich zur radikalen Nephrektomie fand man bezüglich der onkologischen Resultate keine Unterschiede, wie eine Studie aus Mainz aufweist. Der Langzeit-Follow-up der laparoskopischen versus der offenen Teilresektion ist allerdings noch abzuwarten.
Bei multimorbiden Patienten werden vereinzelt alternative Verfahren eingesetzt wie die Radiofrequenztherapie oder die Kryotherapie, allerdings mit dem Nachteil der unsicheren Histologie bezüglich der Tumorfreiheit postoperativ.
Im Hinblick auf die Malignität der Tumore nimmt diese mit der Grösse des entdeckten Tumors zu, wie eine Studie bei 2139 soliden Nierentumoren aus Frankreich ergab (Valeri A.) Histologisch fand sich ein signifikant höherer Anteil an benignen Tumoren, bei Raumforderungen 4 cm. Dies unterstützt die nephronerhaltende Chirurgie.
Blase
Nosokomiale Harnwegsinfekte waren im Blickpunkt einer Studie über das Resistenzverhalten verschiedener Antibiotika. Dabei wurde bei hospitalisierten Patienten mit Harnwegsinfektionen über 10 Jahre das Keimspektrum sowie die Wirksamkeit getestet. Bei gramnegativen Keimen ist der Einsatz von Ciprofloxacin oder Levofloxacin mit geringster Resistenzrate zu empfehlen, im grampositiven Erregerspektrum eignet sich Ampicillin/Sulbactam, Gatifloxin oder Linozelid.
In der Diagnose des Urothelkarzinoms der Harnblase hat sich die FISH-Analyse (Fluoreszenz in situ Hybridisierung) des Urins bewährt. Allerdings gilt weiterhin, dass die Zystoskopie nicht ersetzbar ist, sowohl was die Diagnose als auch die Tumorkontrolle betrifft.
Inkontinenz
Der Einsatz der suburethralen Schlingen zur Therapie der weiblichen Belastungsinkontinenz zeigt auch im Langzeit-Follow-up Kontinenzraten über 90%. Dies war für die suburethralen retropubischen Bänder (TVT) bereits bekannt. Die nun neu aufgekommene Technik, die Schlingen transobturatorisch (TOT) einzulegen, weist vergleichbare Erfolgsraten auf. Allerdings sind die Ergebnisse bezüglich des Langzeit-Follow-up noch abzuwarten. Die Ergebnisse einer prospektiven Dortmunder Studie (Thiel R.) weisen eine maximale Beobachtungsdauer von 12 Monaten mit ausgezeichneten Resultaten auf.
Betreffend medikamentöser Therapie der Stressinkontinenz gab es bisher wenig Alternativen. Hoffnung aufkommen lässt Duloxetin, ein Serotonin- und Noradrenalin-Reuptakehemmer, der in der Schweiz allerdings noch nicht zugelassen ist. Über eine gesteigerte Aktivität der Motoneuronen des N. pudendus soll die Kontraktion des Rhabdosphinkters gestärkt werden.
Bei der Urgeinkontinenz hat die medikamentöse Therapie weiterhin einen sehr wichtigen Stellenwert. Im Fall einer therapierefraktären Symptomatik bei neurologisch gesunden Patienten ist der erfolgreiche Einsatz von Botox, welches in den Detrusor injiziert wird, nunmehr bewiesen.
Urolithiasis
Die extrakorporale Stosswellenlithotripsie (ESWL) ist die Standardtherapie für Konkremente bis 2 cm Grösse. Zur Verbesserung des therapeutischen Effektes werden aktuell adjuvante medikamentöse Behandlungen zur Beschleunigung des Steinabganges propagiert. Zum Beispiel bringt der Einsatz von a-Blockern für 7 Tage gemäss einer randomisierten prospektiven Studie aus Perugia an 98 Patienten eine signifikante Verbesserung des Krankheitsverlaufes nach ESWL. Ohne Therapie waren nach einer Woche 15.3% der Patienten steinfrei, mit a-Blockern waren es 73%. Eine weitere Steigerung auf 78% Steinfreiheit in einer Woche gelang durch die zusätzliche Gabe von 6 mg Deflazacort über 5 Tage.
In der Grundlagenforschung gab es Neues bei der Zystinurie. An humanen Nierenzellen gelang es, einen Aminosäuretransportweg gezielt auszuschalten, um so ein in-vitro Modell der Zystinurie zu bekommen. Dies könnte wegbereitend für mögliche therapeutische Ansätze in Zukunft sein.
Erektile Dysfunktion
Die medikamentöse Therapie der erektilen Dysfunktion hat sich in den letzten Jahren erweitert. Interessant war eine Studie aus dem Iran, die untersucht hat, ob ein Nikotinstop nach einem Jahr zu einer verbesserten erektilen Funktion führt. Bei 25% der Ex-Raucher kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Erektionsfähigkeit. Je nach Ausmass des Nikotinabusus und Alter des Patienten nahm dieser Effekt aber ab.
Dr. med. N. Blick, Dr. med. J. Birzele, Urologische Klinik UniversitätsSpital Zürich
Medizin Spektrum
10.04.2005 - dde