Das Blut ist gut
Die Selbstverantwortung des Patienten hat viele Facetten. Eine häufige besteht darin, nicht genau zu wissen, wofür er alles verantwortlich ist.
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Klaus Neftel |
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Nach den schon erleichternden bisherigen Ergebnissen des Check-up kommt nach tagelangem Warten der erlösende Anruf der Praxisgehilfin: „Auch das Blut sei gut“. Solches Warten hat bald ein Ende. Der Markt für einfache und billige Selbsttests wächst zügig und das vollständige Set für den Heim-Check up dürfte bald zu günstigen Preisen erhältlich sein, ähnlich dem pädagogisch wertvollen Kosmos-Kasten „der kleine Chemiker“, den wir schon vor 50 Jahren unter dem Weihnachtsbaum fanden.
Die Blutzucker-Selbstmessung von Diabetikern macht zwar immer noch den Löwenanteil der Selbsttests aus; der ebenfalls etablierte Schwangerschafts-Selbsttest gehört in eine andere Kategorie. Zur Irrititation unter den Kardiologen hat aber - bereits vor über fünf Jahren - der erste Test zur Selbstdiagnose des Herzinfarkts geführt. Nebst allen Unsicherheiten der Indikation und Interpretation des Tests waren die Kardiologen durch die Möglichkeit beunruhigt, dass ein negatives Ergebnis falsche Sicherheit vortäuschen und den Anruf beim Notarzt hinauszögern könnte. Die Entgegnung des Herstellers war bemerkenswert: „Der Test ersetze keinesfalls den Arztbesuch oder Anruf beim Notarzt. Er wende sich an Menschen mit unspezifischen Beschwerden und besonders an jene häufigen Fälle, die bei Symptomen zu lange warteten, bevor sie den Notarzt riefen.“ Das heisst, wenn man wenigstens nicht zögert, den Test zu gebrauchen, kann man selbst feststellen, ob man ein Zögerer ist, was Arztanrufe betrifft.
Die Palette ist gewachsen: Helicobacter-pylori, HIV, Cholesterin, Urintests, Blut im Stuhl und andere. Das Geschäftsmodell dahinter dürfte bald demjenigen des eminenten Phineas Taylor Barnum (1810 – 1891) entprechen, Zirkuspionier und grösster Schausteller aller Zeiten. Es war einfach, effizient und unfehlbar: „a little something for everybody“. Darauf geht auch der so genannte Barnum-Effekt zurück: Täuschung durch persönliche Validierung (personal validation fallacy) durch die verbreitete Tendenz, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person als zutreffende Beschreibung zu akzeptieren. Der Begriff stammt vom amerikanischen Psychologen BR Forer, der die Aussagen von zufällig erworbenen Zeitungshoroskopen an seinen Studenten mit grossem Erfolg „validierte“.
Wie jeder Arzt, der Diabetiker betreut, weiss, ist auch die unverzichtbare Blutzuckerselbstmessung nicht immer unproblematisch. In einer kürzlich im British Medical Journal publizierte Studie an unter 70-jährigen Patienten mit neu entdecktem Diabetes Typ 2 verbesserte die Selbstmessung die Kontrolle der Glykämie nicht, war aber mit einem höheren Depressions-Score assoziert [1]. Die Mehrzahl der andern Selbsttests bestätigen höchstens das Gesetz, dass ein Amalgam aus Sinn und Unsinn meistens nur wieder Unsinn ergibt.
Klaus Neftel
1. O’Kane MJ et al. on behalf of the ESMON study group. Efficacy of self monitoring of blood glucose in patients with newly diagnosed type 2 diabetes (ESMON study): randomised controlled trial. BMJ 2008;336:1174-1177
Mediscope
15.10.2008 - dde