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Editorial

Die moderne Kardiologie, 26 Jahre nach der ersten Koronardilatation

 

Am Freitag, den 16.09.1977, machte sich Andreas Grüntzig, ein gut aussehender 38-jähriger kardiologischer Oberarzt, im Katheterlabor des Universitätsspitals Zürich daran die welterste Koronardilatation durchzuführen. Dem gleichaltrigen Patienten wurde damit auf Jahrzehnte hinaus geholfen, Andreas Grüntzig wurde einer der berühmtesten Ärzte aller Zeiten und die Kardiologie war nie mehr dieselbe.

 

Einige Jahre zuvor überquerte Andreas Grüntzig die Rämistrasse, um in der gegenüberliegenden Eidgenössischen Technischen Hochschule Rat zu holen. Er suchte ein Material, um zylindrische Ballonkatheter herzustellen, die auch mit einem Füllungsdruck von mehreren Atmosphären formkonstant bleiben. Damit wollte er die wenig praktische Dotter-Methode (Dehnen von Gefässstenosen durch Einschieben immer dickerer Katheter) massgeblich verbessern. Mit dem Tipp, es mit Polyvinylchlorid (PVC) zu versuchen, kehrte er zurück. Es bedurfte grosser Ausdauer und der Hilfe seiner Frau, seiner Assistentin, deren Mann sowie einer kleinen Medizinalfirma mit dem Namen Schneider Medintag, bis ein brauchbarer Ballonkatheter fabriziert war. Danach galt es, mit technischem Geschick und klinischem Feingefühl Misserfolge und Komplikationen bei der Applikation dieser Ballonkatheter in peripheren Gefässen zu vermeiden.

 

Das grösste Obstakel für den Durchbruch der Ballondilatation bei der häufigsten Krankheit und Todesursache unserer Generation, der koronaren Herzkrankheit, bestand indes weniger in der Natur der Dinge und der Patienten als in der Natur der Kollegen und Vorgesetzten. Die Einstellung gegenüber der Ballonangioplastie war herablassend tolerant, solange sie sich mit peripheren Gefässen beschäftigte. Sie wurde gehässig und feindlich, sobald es um die Koronararterien ging. Nicht die Herzchirurgen waren das Problem, obwohl sie die Einzigen waren, die etwas zu verlieren hatten. Es waren vornehmlich Internisten, die über das blutige Handanlegen in einem derart delikaten Körperbereich durch einen der ihren empört waren und solch unschickliches Tun zu verhindern suchten und auch fast wussten. Dazu kam die Schwierigkeit, geeignete Patienten zu finden. Eine invasive Abklärung der koronaren Herzkrankheit galt erst als indiziert, wenn die Beschwerden durch Medikamente nicht mehr kontrolliert werden konnten. Dies brachte fast ausschliesslich Mehrgefässerkrankungen mit bereits durchgemachten Infarkten zu Tage, klar nicht die Zielpopulation für die Koronarangioplastie.

 

Auf die Situation, die der junge Patient an jenem Tag präsentierte, hatte Andreas Grüntzig beinahe ein Jahr gewartet. Ein Koronarangiogramm 2 Tage zuvor hatte eine einzelne proximale Stenose im Ramus interventricularis anterior als Ursache einer kurz zuvor erstmals aufgetretenen Angina pectoris aufgezeigt. Nach Grüntzigs Rückkehr von einer Woche in San Francisco, wo kein geeigneter Patient für die Erstkoronardilatation hatte gefunden werden können, zeigte ich ihm als verantwortlicher Assistenzart besagten Koronarfilm. Er erklärte hierauf dem Patienten die Möglichkeit, seine Methode statt der sonst notwendigen Bypassoperation anzuwenden. Der Patient war spontan bereit, sich dieses Eingriffs als erster zu unterziehen und er sollte es nicht bereuen.

 

Ake Senning, der weltberühmte Direktor der Herzchirurgie am Universitätsspital Zürich, und seine rechte Hand Marko Turina sagten wohlwollend ihre Unterstützung zu. Walter Siegenthaler und Hanspeter Krayenbühl, die Vorgesetzten von Andreas Grüntzig gaben ebenfalls grünes Licht. Der Fall fand in ruhiger und doch etwas angespannter Atmosphäre statt. Kannte man Andreas Grüntzig gut, war bei ihm einen Anflug von Nervosität zu entdecken. Nicht so beim Patienten. Dieser vertraute seinem Arzt uneingeschränkt. Die Gesichter der Herzchirurgen, die wiederholt reinschauten, waren betont unbeteiligt, verbargen indes mutmasslich eine gewisse Beunruhigung, bei der es nicht zuerst um den Patienten ging, der dazu auch keinen Anlass gab. Er ertrug den kurzen Gefässverschluss durch den Ballonkatheter während der Dilatation ohne Symptome oder Rhythmusstörungen. Durch die damals noch limitierte Auflösung des Durchleuchtungsbildschirms irregeleitet, schob Andreas Grüntzig den Ballon zusätzlich in einen Diagonalast und dilatierte auch dort ohne Probleme (und auch ohne Grund, wie sich nach der Entwicklung des Dilatationsfilms herausstellte). Zwei Tage später sass der Patient genesen auf dem Fahrrad-Ergometer und blieb bis heute befreit von belastungsabhängigen Thoraxschmerzen.

 

Der Schritt zum therapeutischen Aufblasen eines Ballonkatheters in einer menschlichen Koronararterie war ein kleiner Schritt für Andreas Grüntzig, aber ein grosser Schritt für die Menschheit. Ungleich der ein knappes Jahrzehnt zuvor erfolgten Mondlandung war ohne grossen Aufwand und unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit etwas geschehen, das die Welt nachhaltig veränderte oder zumindest die Medizin. Die Kardiologie trat aus dem Aschenputtel-Dasein im Haus der Inneren Medizin hinaus ins Sonnenlicht der eingreifenden therapeutischen Disziplinen, nicht sofort aber unaufhaltsam. Heute ist sie selbst ein Sammeltopf von Untereinheiten geworden und steht möglicherweise kurz davor, flügge Töchter in die Selbständigkeit zu entlassen. Die Elektrophysiologie wäre da zu erwähnen, ein weiterer invasiver therapeutischer Bereich, der sich im Kielwasser der Koronardilatation dynamisch entwickelte. Die diagnostischen und konservativ behandelnden Zweige der Kardiologie haben ebenfalls vom Momentum der interventionellen Kardiologie profitiert und eine Bedeutung erlangt, die sonst unvorstellbar gewesen wäre. Echokardiographie, Belastungs-Elektrokardiographie, nicht-invasive und invasive physiologische Messungen, medikamentöse Prävention, Lebensstilmodifikationen zur Vorbeugung und Rehabilitation, massgeschneiderte Therapie der Herzinsuffizienz sowie neue bildgebende Verfahren, wie z.B. die kardiale Magnetresonanz, sie alle haben profitiert vom Zugpferd Koronardilatation und profitieren noch davon. Der niedergelassene Kardiologe kann seinen Abklärungen greifende Therapien folgen lassen, auch wenn sie zum Teil durch subspezialisierte Kollegen ausgeführt werden. Der Spitalkardiologe nimmt nicht nur in grösseren Kliniken eine zentrale Rolle ein und die Kardiologie als Fach hat eine weltweite medizinische und wirtschaftliche Bedeutung von unvorhersehbarem Ausmass erreicht. Auch andere Fächer (Gastroenterologie, Angiologie, Radiologie, Neuroradiologie, Gynäkologie, etc.) profitierten von Weiterentwicklungen der Ballondilatation von Andreas Grüntzig.

 

Schliesslich wurde und wird das Leiden von Millionen von Menschen durch die Koronardilatation gemildert oder gar beseitigt und verdienten und verdienen Millionen von Menschen ihr Brot damit. Dies alles begann vor 26 Jahren in einem Herzkatheterlabor in Zürich und vor etwa 30 Jahren im Kopf von Andreas Grüntzig. Hätte er nur etwas mehr davon erleben dürfen.

 

Prof. Bernhard Meier, Chefarzt Kardiologie, Schweizer Herz- und Gefässzentrum Bern, Universitätsklinik, Inselspital, 3010 Bern

 



 
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