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Drei Fall-Vignetten aus der Modellstation Somosa in Winterthur. Wie gut ist die Verträglichkeit von Stimulantien bei Jugendlichen?

Der Autor ist ärztlicher Leiter der Modellstation Somosa in Winterthur. In der Modellstation Somosa werden zwanzig Jugendliche männlichen Geschlechts mit schweren Adoleszentenkrisen stationär behandelt. Das Eintrittsalter liegt zwischen 15 und 20 Jahren. Das Behandlungsprogramm dauert zwölf bis zwanzig Monate. Die Modellstation Somosa ist sowohl staatlich anerkanntes Jugendheim als auch staatlich anerkannte psychiatrische Klinik. Die intersystemische Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen – zum Wohle der jugendlichen Klienten – ist ein Kernanliegen der Institution. Die Modellstation Somosa beschäftigt Fachleute aus den Bereichen Sozialpädagogik, Psychotherapie, Psychiatrie, Arbeitsagogik.

 

Der Autor präsentiert hier drei Fall-Vignetten aus der Sicht der Psychopharmakologie, in welchen sich die Problematik einer Diagnosestellung in der Adoleszenz, aber auch die Problematik der dynamischen Veränderungen in diesem Lebenszeitabschnitt widerspiegelt.

 

Der Unterzeichnende hat in den letzten Jahren dreimal dasselbe Bild gesehen: Jünglinge sind in die Institution eingetreten, welche schon lange vor Eintritt und nach gründlicher Abklärung mit der Diagnose eines Aufmerksamkeitsdefizites mit Hyperaktivität (ADHD) bedacht worden waren. Alle drei wurden mit Methylphenidat behandelt. Bei allen drei Jünglingen fielen Schlafprobleme, Gespanntheit sowie wiederholte eruptive Gewalthandlungen auf.

 

Bei allen drei Jugendlichen zeigte sich ein hervorstechendes Verlaufsmerkmal: Das Absetzen von Methylphenidat bewirkte einen deutlichen Rück-gang des Acting-out. Die Aggressivität und der «innere Druck» gingen zurück, der Schlaf verbesserte sich. In einem Fall wurde kein psychopharmakologischer Ersatz eingeführt, in zwei Fällen zeigte sich, dass Impulsivität und eine kurze Aufmerksamkeitsspanne problematisch waren. Durch den Einsatz von Stimmungsstabilisatoren (Mood Stabilizer) verbesserte sich nicht nur die Impulsivität, sondern auch die Aufmerksamkeitsspanne; dies war vor allem in einem Fall deutlich, in welchem Lithium als Ersatz für Methylphenidat eingeführt worden war.

 

In unserer Institution werden als Mood Stabilizer in erster Linie Valproinsäure oder Gabapentin verwendet. Bei besonders schwerwiegenden Fällen von Hyperaktivität und Impulsivität kann auch einmal der Einsatz von Lithium indiziert sein. Daraus eine allgemeine Empfehlung abzuleiten, ist nur bedingt statthaft: Angesichts der geringen therapeutischen Breite von Lithium sollte dieses nur unter stabilen äusseren Verhältnissen verordnet werden. Die notwendigen Laborkontrollen sind sicherzustellen. Bei Jugendlichen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit von unserer Institution aus in eine nächste Institution übertreten werden (wenn z.B. eine jugendstrafrechtliche Massnahme vorliegt), so dass längerfristig die Abgabe der Medikation in einem Tages- oder Wochenschieber gewährleistet ist, fällt der Entscheid für den Einsatz von Lithium eher leichter als bei anderen Jugendlichen. Die Verbesserung- sowohl der Aufmerksamkeitsspanne als auch der Impulsivität – ist meist dramatisch. Daraus diagnostische Rückschlüsse «ex juvantibus» zu ziehen, dürfte nicht statthaft sein, da Lithium nachgewiesenermassen auch bei ADHD ohne Komorbidität wirksam ist [1]. Es ist dies überhaupt eine gefährliche «Denkfalle»: Es wurde seitens der universitären Kinder- und Jugendpsychiatrie der Schweiz [2] darauf hingewiesen, dass diagnostische Konzepte oft ändern und «Modeströmungen» unterliegen. Wenn aus der vermehrten Verwendung von stimmungsstabilisierenden Substanzen und den vermehrten Erfolgen von solchen Therapien «ex juvantibus» auf das häufigere Vorliegen von bipolaren oder sonstigen affektiven Störungen bei Jugendlichen geschlossen würde, was tendenziell in den USA zu beobachten sei, so sei dies wahrscheinlich eine unzulässige Schlussfolgerung [2].

 

Bei der Betrachtung dieser drei Vignetten ist auf ein Grundproblem der Psychiatrie hinzuweisen: Die Psychiatrie beforscht die Wirkung von therapeutischen Massnahmen (hier: pharmakologischen Massnahmen) auf Menschen, welche ein bestimmtes äusseres Symptombild zeigen. Dass sich ein und dasselbe «äussere» Symptombild aber möglicherweise auf dem Boden von unterschiedlichen Hirnstrukturen entfalten kann, wird zum theoretischen Problem, vor allem in der Psychopharmakologie. In der Pubertät unterliegt das zentrale Nervensystem umfassenden Veränderungen, so dass unter Umständen ein «vorpubertär» positiver Effekt einer Substanz in der Pubertät verschwinden könnte. Ich stelle hier die möglichen positiven Effekte der Behandlung von Aufmerksamkeitsdefiziten bei Jugendlichen und Erwachsenen mit Stimulantien nicht in Frage (es wurde zu diesem Thema in den letzten Jahren viel geforscht, und die Ergebnisse sind eindeutig positiv [3]), es scheint mir aber wichtig zu sein, mit diesen Fall-Vignetten den Blick für eine «im Einzelfall» bedeutsame pharmakotherapeutische Problematik zu schärfen. Was sich in einer Kohortenstudie als nützlich und wirksam erweist, kann im Einzelfall kontraproduktiv und schädlich sein.

 

Nicht selten tritt ein ADHD gemeinsam mit Symptomen anderer ätiologischer Herkunft auf (Komorbidität), so etwa mit posttraumatischen Symptomen. Nach meiner Erfahrung reagieren vor allem Jugendliche mit posttraumatischen Symptomen in der Regel sehr empfindlich auf Stimulantien: Obwohl sich die Aufmerksamkeit unter den Stimulantien verbessert, müssen die Stimulantien dann doch abgesetzt werden, wegen der Zunahme der posttraumatischen Symptome (z.B. Alpträume) unter der Behandlung. Mood Stabilizer sind dann oft eine günstige Alternative. Gegebenenfalls kann auch eine Dosisanpassung der Stimulantien (anstelle eines vollständigen Absetzens) indiziert sein oder die Kombination von Stimulantien mit Mood Stabilizern.

 

 

Dr. med. Christian Schaub, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Modellstation Somosa, Winterthur.

 

Referenzen
1. Dorrego MF et al, J Neuropsychiatry Clin Neuroscience 14: S. 289-295.
2. Die Zukunft der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Vortrag, gehalten am 19. 5. 05 in Wil, von Prof. Dr. med. W. Felder, Bern.
3. Krause J et al, 2003: ADHS im Erwachsenenalter.

 

 
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01.08.2005 - dde
 



 
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